Sinnfreier Glutenverzicht – Mangelzustände, Gewichtszunahme und erhöhte Schwermetallwerte
Glutenfrei liegt derzeit voll im Trend. Doch was für den Zöliakiepatienten sinnvoll ist, gilt noch lange nicht für die Gesamtbevölkerung, schreiben Dr. Thomas Greuter von der Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie des Universitätsspitals Zürich und seine Kollegen. Das Proteingemisch Gluten findet sich in Weizen, Roggen und Gerste. Wer sich normal ernährt, nimmt täglich etwa 10–20 g davon zu sich. Verzichtet man als gesunder Mensch jedoch teilweise oder komplett auf glutenhaltige Lebensmittel, kann das negative Folgen für die Gesundheit haben.
Eine glutenfreie Ernährung ist nämlich häufig nicht nur arm an Vitamin B, Folsäure und Eisen, sondern sie weist auch einen höheren glykämischen Index auf. Neben Mangelzuständen und einer Gewichtszunahme kann es auch zu erhöhten Schwermetallwerten z.B. von Arsen, Cadmium, Blei und Quecksilber in Urin und Blut kommen. Deshalb empfehlen die Autoren eine glutenfreie Diät nur für Patienten, die tatsächlich unter einer Glutenkrankheit leiden.
Zöliakie
Die Zöliakie ist eine autoimmunvermittelte entzündliche Erkrankung des Dünndarms, die bei genetisch disponierten Personen (HLA-DQ2/DQ8) durch den Verzehr von Gluten ausgelöst wird. Sie kann in jedem Alter auftreten und verläuft häufig oligo- oder teilweise auch asymptomatisch. Neben unspezifischen gastrointestinalen Symptomen wie Durchfall, Bauchschmerzen, Obstipation und Blähungen sind extraintestinale Beschwerden wie Wachstumsstörungen, neurologische Symptome wie Migräne und Parästhesien oder Hautmanifestationen wie die Dermatitis herpetiformis Duhring möglich.
Die Diagnose wird anhand einer endoskopischen Biopsie aus dem Duodenum zusammen mit einer positiven Serologie gestellt. Eine Bestimmung der HLA-Genotypen bei Patienten mit weiteren Autoimmunkrankheiten, die mit einem erhöhten Zöliakierisiko assoziiert sind, kann hilfreich sein. Die einzige effektive Therapie ist eine glutenfreie Diät mit maximal 20 mg Gluten pro Tag. Sie muss strikt und lebenslang eingehalten werden, um Folgeschäden zu vermeiden.
Weizenallergie
Bei der Weizenallergie handelt es sich um eine Allergie vom Soforttyp, die durch verschiedene Weizenproteine ausgelöst werden kann und vor allem Kinder im Schulalter sowie Bäcker betrifft. Bei der klassischen Weizenallergie treten die Beschwerden (beispielsweise Urtikaria, Angioödeme, Dyspnoe, Diarrhö, Erbrechen und Schwindel) während oder unmittelbar nach dem Essen auf. Patienten mit einer anstrengungsgetriggerten Weizenanaphylaxie dagegen tolerieren Weizenprodukte nur ohne Sport. Als weitere Kofaktoren gelten Acetylsalicylsäure oder Alkohol. Zum diagnostischen Standard gehört neben einer ausführlichen Anamnese, die auch den ausgeübten Beruf umfassen sollte, die Prick-Testung mit Gräserpollen, um Kreuzsensibilisierungen auf die Spur zu kommen, sowie die Testung von Weizenprodukten.
Ebenso sollten spezifische IgE bestimmt werden. In Einzelfällen, etwa bei möglicher beruflicher Exposition, kann ein Provokationstest durch einen erfahrenen Allergologen sinnvoll sein. Therapeutisch wird eine glutenfreie Diät empfohlen. Die Patienten erhalten ein Notfallset und einen Adrenalin-Autoinjektor, um im Fall einer anaphylaktischen Reaktion gewappnet zu sein. Da sich die Weizenallergie meist bis zum Teenageralter verwächst, muss nicht wie bei der Zöliakie zwangsläufig ein Leben lang auf glutenhaltige Nahrungsmittel verzichtet werden.
Nicht-Zöliakie- Glutensensitivität
Die Nicht-Zöliakie-Glutensensitivität (NCGS) ist weder autoimmun noch allergisch bedingt. Es ist unklar, ob es sich bei ihr tatsächlich um eine eigenständige Entität oder eher um eine Subform eines Reizdarmsyndroms handelt. Nach dem Verzehr von Gluten kommt es innerhalb von Stunden bis Tagen zu zöliakieähnlichen gastrointestinalen Beschwerden. Zunächst sollte diagnostisch eine Zöliakie und eine Weizenallergie ausgeschlossen werden. Eine positive Zöliakie-Serologie macht die NCGS keinesfalls unmöglich.
Bessern sich die Beschwerden unter einer glutenfreien Diät über sechs bis zwölf Monate, empfehlen die Autoren einen zweiwöchigen Reexpositionsversuch mit 8–10 g Gluten pro Tag, was etwa zwei Scheiben Brot entspricht. Fällt dieser Test positiv aus, gilt die Diagnose als gesichert. Häufig ist eine glutenreduzierte Diät mit weizenarmen Lebensmitteln bereits ausreichend, um die Symptomatik innerhalb weniger Tage zu lindern.
Quelle: Greuter T et al. Swiss Med Forum 2020; 20: 184-190; DOI: 10.4414/smf.2020.08468