Depression und Borderline Botox als gutes Gift für die Psyche?
Durch Mimik lassen sich Emotionen nicht nur ausdrücken, sondern auch aufrechterhalten und verstärken – so lautet die Facial-Feedback-Hypothese, die von einer propriorezeptiven Rückkopplung ausgeht. Durch Experimente konnte man sie mittlerweile gut belegen, berichtete PD Dr. Marc Wollmer von der Klinik für Gerontopsychiatrie an der Asklepios Klinik Nord-Ochsenzoll in Hamburg. Ein Schlüsselmuskel für negative Gefühle ist der M. corrugator supercilii, bei Depressiven weist dieser „Zornesfaltenmuskel“ eine gewisse Überaktivität auf. Somit stellt sich die Frage, ob sich durch Injektionen von Botulinum-Neurotoxin (BoNT)in die Glabella die propriorezeptive Rückkopplung unterbrechen lässt und es so gelingt, depressive Symptome zu lindern.
60 % der Patienten mit vollständiger Response
Die Antwort liefern mittlerweile mehrere kontrollierte Studien und sie lautet, ja. Metaanalysen sprechen dafür, dass Frauen mit leichter bis mittelschwerer unipolarer Depression von der ergänzend durchgeführten Behandlung profitieren. In einer eigenen Untersuchung haben Dr. Wollmer und Kollegen gezeigt, dass die einmalige additive Injektion bei Patienten mit Major Depression wirkt. Die Symptome gingen schnell, deutlich und anhaltend zurück. Die partielle Ansprechrate lag bei 87 %, eine vollständige Response erlebten 60 % der Teilnehmer. Der antidepressive Effekt war nicht vom kosmetischen abhängig. Es gab Patienten, die zwar mit ihrem Aussehen unzufrieden waren, deren Werte auf der Hamilton Depressionsskala aber dennoch stark abfielen.
Inzwischen liegen weitere Studien mit ähnlichen Ergebnissen bei Major Depression vor. Und eine vergleichende Untersuchung ergab eine antidepressive Wirkung von Botulinumtoxin, die der von Sertralin mindestens ebenbürtig war.
Neben der großen Effektivität zählen die hohe Adhärenz, die günstigen Kosten sowie ein hervorragendes Verträglichkeits- und Sicherheitsprofil zu den Vorteilen der Botulinumtoxintherapie, betonte Dr. Wollmer. Nach seiner Ansicht hat sie das Potenzial, zum transdiagnostischen Behandlungsansatz zu werden, der sich auf jedes psychiatrische Krankheitsbild mit negativen Emotionen übertragen lässt.
Mit dieser Aussage lieferte der Kollege das perfekte Stichwort für Prof. Dr. Tillmann Krüger von der Medizinischen Hochschule Hannover. Er berichtete über die Wirkungen von BoNT bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen, die gekennzeichnet sind durch ein Übermaß an negativen Emotionen. In der funktionellen Bildgebung findet sich v.a. eine verstärkte Aktivität der Amygdala.
Welche Faktoren den Therapieerfolg fördern
Abseits der Unterbrechung der propriozeptiven Rückkopplungsschleife könnten folgende Mechanismen zum Ansprechen auf eine Botulinumtoxintherapie beitragen:
- soziale Rückkopplung
- lokale antiinflammatorische Einflüsse
- Wirkungen auf Gefäße
- zentrale pharmakologische Effekte
- Placeboeffekte
- ästhetische Aspekte.
Injektionen so wirksam wie Akupunktur
Zugelassene Medikamente gibt es für dieses Krankheitsbild nicht. Seitens der Psychotherapie konnten zwar einige Neuentwicklungen – z.B. Übertragungsfokussierte Therapie, Dialektisch-Behavoriale Therapie –
erfolgreich etabliert werden, dennoch kommen die Responseraten nicht über 50 %.
In einer aktuellen Studie wurden die Effekte einer Injektion mit Botulinumtoxin in die Glabella von Patienten mit einer Borderline-Störung geprüft. 54 Frauen nahmen teil und erhielten randomisiert das Verum oder minimale Akupunkturnadelungen. Primärer Endpunkt waren die Veränderungen in der Zanarini Rating Scale for Borderline Personality Disorder (ZAN-BPD) nach acht Wochen. Die Werte besserten sich in beiden Gruppen signifikant, BoNT schnitt aber nicht besser ab als die Akupunktur.
Auf neuronaler Ebene dagegen ließen sich mittels funktioneller MRT im Ruhezustand einige Effekte bei den Patientinnen nach BoNT-Injektion nachweisen. Sie zeigten im emotionalen Go/Nogo-Task eine bessere Inhibitonsleistung. Funktionelle Konnektivtäten im motorischen Gesichtsareal und anterioren cingulären Cortex verstärkten sich, die Aktivität der Amygdala nahm ab. Die Befunde weisen sowohl Übereinstimmungen als auch Abweichungen zu früheren Untersuchungen auf, könnten aber duchaus für einen BoNT-spezifischen Effekt sprechen, erklärte Prof. Krüger.
Kongressbericht: Deutscher Kongress für Parkinson und Bewegungsstörungen