CGM-Daten als Beweismittel Das ist die Rechtslage für Hersteller und Patienten

Autor: Dr. Thorsten Thaysen, Daniel Lindenberg

Glukosewerte in der Cloud als Beweismittel bei Verkehrsunfällen? Glukosewerte in der Cloud als Beweismittel bei Verkehrsunfällen? © Who is Danny – stock.adobe.com

Kann der Hersteller eines cloudbasierten Glukosemesssystems gezwungen werden, die Messdaten eines Patienten bei einem Verkehrsunfall herauszugeben? Die beiden Münchner Rechtsanwälte Daniel Lindenberg und Dr. Thorsten Thaysen mit einer Einordnung.

Gesundheitsdaten werden nicht ohne Grund als besonders sensible Daten angesehen. Sie gewähren Einblicke in den Gesundheitszustand des Menschen und damit auch in private Lebensumstände. Bei Menschen mit Diabetes ermöglichen die zahlreich anfallenden Glukosemesswerte Aussagen über den Gesundheitszustand zu einem bestimmten Zeitpunkt und damit wesentlich intensivere Einblicke in das Privatleben als bei Menschen ohne Diabetes. In besonders kritischen Situationen wie einem Verkehrsunfall kann dies für Menschen mit Diabetes einen Nachteil bedeuten, wenn die Glukosemesswerte durch Behörden oder Gerichte für die Ermittlung der Unfallursache herangezogen werden. 

Daher hat der Gesetzgeber diese Daten durch die ärztliche Schweigepflicht einem besonders strengen Schutz unterworfen. Jedoch befinden sich heute viele Glukosemesswerte nicht mehr in ärztlicher Obhut, sondern auf den Servern der Hersteller cloudbasierter Glukosemesssysteme oder den privaten Endgeräten der Patienten. Daher stellt sich die Frage, ob bei einem Verkehrsunfall die Speicherung der Glukosemesswerte außerhalb der Arztpraxis und deren IT-Systemen ein Risiko für Patienten bedeutet. Es geht dabei um die Frage, ob eine Behörde oder ein Gericht die Herausgabe von Daten von einem Hersteller eines cloudbasierten Glukosemesssystems oder vom Patienten selbst verlangen kann.

1. Strafrechtliche Ermittlungen

In Strafverfahren steht den Gerichten und Behörden (Polizei, Staatsanwaltschaft) eine Vielzahl von Methoden zur Sachverhaltsklärung zur Verfügung. Bei Verkehrsunfällen sind insbesondere die Aussagen des Beschuldigten, des Opfers, Aussagen weiterer Zeugen sowie Sachverständigengutachten von Bedeutung. 

Steht die Frage der Fahrtüchtigkeit eines am Unfall Beteiligten im Raum, gewinnen zudem die Blutabnahme und -untersuchung an Bedeutung. Wird bspw. im Rahmen der Unfallaufnahme festgestellt, dass ein Fahrer nicht fahrtüchtig erscheint, veranlasst die Polizei regelmäßig eine Blutabnahme. Zeigen die Blutwerte dann, dass ein zu geringer oder zu hoher Glukosewert zum Zeitpunkt des Unfalls vorgelegen hat, intensiviert die Polizei die Ermittlungen in diese Richtung. Die Glukosewerte des Patienten stehen dann schnell im Fokus der Ermittlungen. Das Interesse an den Messwerten gründet sich da­rin, dass die Behörden und Gerichte in Strafverfahren den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln haben. 

Legt der Beschuldigte seine Messdaten nicht freiwillig offen, wird die Behörde je nach Schwere des Unfalls versuchen, anderweitig an die Messdaten zu gelangen. Die „einfachste“ Methode hierzu ist die zwangsweise Mitnahme von Unterlagen/Dateien beim beschuldigten Patienten (sog. Beschlagnahme). Vermutet die Behörde, dass sich in den Wohn- oder Geschäftsräumen des Beschuldigten Glukosewert-Messdaten befinden, veranlasst sie eine Durchsuchung dieser Räumlichkeiten. Im Rahmen der Durchsuchung werden dann alle Unterlagen (bspw. Aktenordner mit Gesundheitsunterlagen) sowie Speichergeräte (PC, Laptop, externe Festplatten, USB-Sticks), auf denen die Behörde die Messdaten vermutet, gesichtet und relevante Daten – auch gegen den Willen des Beschuldigten – mitgenommen. Die Durchsuchung und Beschlagnahme kann sich dabei auch auf Daten beziehen, die sich auf einem räumlich getrennten Speichermedium (bspw. Server/Cloud des Herstellers eines Glukosemesssystems) befinden, soweit sich die Server im Inland befinden. Befinden sich die Daten im Ausland, bleibt den Behörden und Gerichten nur der komplizierte und in der Praxis – gerade bei weniger schweren Straftaten – kaum genutzte Weg, die Behörden des anderen Staates mittels Amtshilfe um Unterstützung bei der Beschaffung der Messwerte zu bitten. 

Zwar besteht keine Verpflichtung zur Herausgabe von Passwörtern und sonstigen Zugangsmitteln. Die Behörden dürfen jedoch Speicher- und Zugangsgeräte mitnehmen und Zugangshindernisse – auch zu räumlich getrennten Speichermedien – bspw. durch Passwortentschlüsselung „knacken“. Daneben kann die Behörde auch beim Hersteller von Messsystemen eine Durchsuchung und Beschlagnahme veranlassen. Für die Durchsuchung bei anderen Personen wie dem Hersteller enthält das Gesetz aber strengere Voraussetzungen als für die Durchsuchung beim Beschuldigten. Darüber hinaus ist auch hier ist zu beachten, dass die Hersteller grundsätzlich nicht gezwungen sind, Passwörter oder andere Zugangsmittel zu den Daten herauszugeben. Nur unter ganz engen Voraussetzungen können Mitwirkungspflichten (bspw. Herausgabe von Passwörtern) für die Hersteller bestehen.

Bei Verkehrsunfällen sind die strengen Voraussetzungen zur Mitwirkung jedoch regelmäßig nicht erfüllt: Insoweit fehlt es in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle schon an der erforderlichen schweren Straftat (bspw. Mord etc.), die das Gesetz für eine Mitwirkungspflicht verlangt. Letztlich muss die Behörde auch beim Hersteller ihr Glück durch Knacken der Zugangshindernisse versuchen. Ein erfolgreiches „Knacken“ dürfte hierbei aber deutlich unwahrscheinlicher sein als bei Zugangsbeschränkungen von Privatpersonen, da die Hersteller über deutlich höhere Sicherheits- und Verschlüsselungsstandards verfügen dürften als Privatpersonen. 

In der strafrechtlichen Praxis wägen die Ermittler beim Zugriff auf Daten danach ab, wie „leicht“ sie die Daten beschaffen können und welche Folgen der Verkehrsunfall hatte. Bei einfachen Verkehrsunfällen mit leichten Verletzungen sind intensivere Ermittlungen deutlich unwahrscheinlicher als bei Unfällen mit Schwerverletzten oder gar Toten. Da der Aufwand für den Zugriff auf Glukose-Messwerte zum Teil sehr hoch ist, d.h., ein Zugriff auf diese Daten durch die Behörden nicht ohne Weiteres möglich ist, wird die Behörde zugangsgeschützten Messwerten in der Regel nur bei schweren Unfällen Beachtung schenken, indem sie zunächst an den Beschuldigten herantritt, um die entsprechenden Daten bei ihm sicherzustellen. Erst wenn dies erfolglos bleibt und die Schwere des Unfalls den Ermittlungsaufwand aus Sicht der Behörde rechtfertigt, wird die Behörde auf den Hersteller zugehen. 

2. Zivilrechtliches Verfahren

Neben strafrechtlichen Ermittlungen können Glukosemessdaten auch bei einer zivilrechtlichen Schadensersatzklage relevant sein. Anders als bei Strafverfahren erfolgen hier jedoch keine eigenen Ermittlungen von Behörden wie der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts, weil im Zivilverfahren der Grundsatz der Amtsermittlung nicht gilt, sondern die Parteien des Prozesses die notwendigen Tatsachen dem Gericht vorlegen müssen (sog. Beibringungsgrundsatz). Das Gericht wird hier nur auf Antrag einer Partei tätig und bestellt z.B. Zeugen ein. 

Bei einem Verkehrsunfall kann ein Geschädigter von dem vermeintlichen Unfallverursacher Schadensersatz verlangen. Dazu muss der Geschädigte den vermeintlichen Unfallverursacher verklagen und in dem Gerichtsverfahren alle Tatsachen vortragen, die seinen behaupteten Anspruch stützen. Der Geschädigte ist daher beweisbelastet. Das deutsche Prozessrecht sieht verschiedene Möglichkeiten vor, wie der Geschädigte die nötigen Beweise für seinen behaupteten Anspruch erbringen kann. Wenn der Geschädigte Glukosemesswerte des vermeintlichen Unfallverursachers als Beweismittel heranziehen will, benötigt er die Mitwirkung des Herstellers des cloudbasierten Glukosemesssystems oder des von ihm verklagten vermeintlichen Unfallverursachers. 

Der Hersteller ist jedoch nicht Partei des Rechtsstreits und kann daher nur dann zur Herausgabe der Messwerte gezwungen werden, wenn ihm kein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht. Das deutsche Zivilprozessrecht gewährt Dritten wie hier dem Hersteller unter anderem dann ein Zeugnisverweigerungsrecht, wenn eine Aussage über Tatsachen erfolgen soll, die dem Hersteller unter der Bedingung der Geheimhaltung anvertraut wurden. Dabei reicht eine stillschweigende Vereinbarung über die Geheimhaltung aus. Bei dem Hersteller eines cloudbasierten Glukosemesssystems dürfte sich die Geheimhaltungsverpflichtung im Hinblick auf die Messdaten bereits aus den Nutzungsbedingungen für das jeweilige System ergeben. 

Auf jeden Fall ist aufgrund der besonderen Bedeutung von Gesundheitsdaten eine stillschweigende Vereinbarung zwischen Patient und Hersteller über die Geheimhaltung der Messdaten anzunehmen. Daher spricht viel dafür, dass dem Hersteller ein Zeugnisverweigerungsrecht zukommt. In der Praxis ist auch davon auszugehen, dass sich der Hersteller auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufen wird, um dem besonderen Vertrauen gerecht zu werden, das ihm der Patient entgegenbringt. Beruft sich der Hersteller auf sein Zeugnisverweigerungsrecht, darf dies nicht zum Nachteil des Patienten ausgelegt werden. Der Hersteller des cloudbasierten Glukosemesssystems kann also in einem Zivilprozess nicht zur Herausgabe der Messwerte gezwungen werden. Weigert sich der Hersteller, die Messwerte herauszugeben, führt dies zu keinem Nachteil für den Patienten als vermeintlichen Unfallverursacher. 

Der Patient ist jedoch der Beklagte und daher Partei des Rechtsstreits. Aufgrund dieser Stellung kann das Gericht dem Patienten aufgeben, ausgedruckte Messwerte dem Gericht vorzulegen oder auf seinen Endgeräten gespeicherte Messwerte dem Gericht zugänglich zu machen, wenn der Geschädigte als Kläger dies verlangt. Weigert sich der Patient dem nachzukommen, kann das Gericht diese Weigerung zum Nachteil des Patienten werten und z.B. behauptete Tatsachen des Geschädigten in Bezug auf die Messwerte als wahr unterstellen. Damit sind Messwerte auf den Endgeräten des Patienten im Zivilprozess weniger geschützt als Messwerte auf den Servern des Herstellers eines cloudbasierten Glukosemesssystems. 

3. Zusammenfassung

Der Hersteller eines cloudbasierten Glukosemesssystems kann in einem Strafverfahren nur bei schweren Straftaten zur Herausgabe von Messwerten gezwungen werden, bei zivilrechtlichen Schadensersatzklagen ist eine Herausgabe gegen den Willen des Herstellers regelmäßig nicht möglich. Allerdings können die sich beim Patienten befindlichen Messwerte in einem Strafverfahren gegen den Willen des Patienten mitgenommen und ausgewertet werden. In einem zivilrechtlichen Verfahren kann er sich zwar weigern, die Messdaten herauszugeben, dies wird ihm dann aber zum Nachteil ausgelegt werden. Somit sind die Messdaten bei dem Hersteller eines cloudbasierten Messsystems im Falle eines Verkehrsunfalles sogar besser geschützt als beim Patienten selbst.