Coronabedinge Giftunfälle: An der Ingestion von Desinfektionsmitteln sterben nicht nur Kinder

Autor: Dr. Anna-Lena Krause

Patienten in Pädiatrie, Geriatrie oder Psychiatrie sollten keinen Zugang zu alkoholbasierten Desinfektionsmitteln haben. Patienten in Pädiatrie, Geriatrie oder Psychiatrie sollten keinen Zugang zu alkoholbasierten Desinfektionsmitteln haben. © Kai – stock.adobe.com

Eine Britische Kollegin berichtet von Todesfällen aufgrund der Ingestion alkoholhaltiger Handdesinfektionsmittel. Achtsameres Medizinpersonal hätte sie verhindern können.

In Praxen, Schulen, Geschäften, Wohnungen und Handtaschen: Seit Beginn der Coronapandemie sind die alkoholbasierten Handdesinfektionsmittel aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Die Gele, Schäume und Flüssigkeiten enthalten zum überwiegenden Teil Ethanol oder Isopropanol, schreibt ­Georgia ­Richards vom Zentrum für evidenzbasierte Medizin an der Universität Oxford. Werden sie geschluckt – ob mit Absicht oder aus Versehen – kann das tödlich enden, wie in zwei Fällen aus Großbritannien.

Fall 1: Eine 30-jährige Frau kommt in die geschlossene Abteilung einer psychiatrischen Klinik. Sie erhält Venlafaxin. Drei Tage später wird sie tot aufgefunden. Neben ihr liegt ein Behälter mit Handdesinfektionsmittel. Die Patientin hatte dazu freien Zugang, die Aufbewahrung im Zimmer war erlaubt. Eine Untersuchung ergibt eine Alkoholkonzentration von 214 mg in 100 ml Blut. In Kombination mit dem Antidepressivum führte das geschluckte Antiseptikum zum Atemstillstand.

Fall 2: In einem Krankenhaus liegt ein zunehmend deliranter Senior, vermutlich aufgrund einer vaskulären Demenz. Der 76-Jährige wird mit Antidepressiva behandelt. Am Fußende seines Betts ist ein Desinfektionsschaumspender montiert. Plötzlich muss er auf die Intensivstation verlegt und invasiv beatmet werden. Sein Blutalkoholspiegel liegt bei 463 mg/dl. Nach der Entfernung des Endotrachealtubus entwickelt der Mann eine Pneumonie. Sechs Tage später stirbt er.

Der Gebrauch alkoholbasierter Desinfektionsmittel hat durchaus seine Berechtigung, stellt die Autorin klar. Vor allem im klinischen Setting oder wenn das Händewaschen mit Wasser und Seife nicht möglich ist. Sie fordert jedoch von den Regierungen und Gesundheitsbehörden, die Bevölkerung und das medizinische Fachpersonal nicht nur über die Gefahren von ­SARS-CoV-2 und die Notwendigkeit von Handhygiene aufzuklären, sondern auch über die Gefahren von alkoholischen Desinfektionsmitteln. 

Warnhinweise auf den Produkten, Sicherheitsverschlüsse und abschließbare Spender könnten Unfälle verhindern. Für medizinische Einrichtungen wäre es ratsam, Richtlinien zum Umgang mit den alkoholischen Präparaten und zur Behandlung nach Ingestion zu entwickeln. Patienten in der Pädiatrie, Geriatrie und Psychiatrie sowie Alkoholabhängige sollten keinen Zugang zu alkoholischen Desinfektionsmitteln haben. Zudem rät die Expertin, Ingestionen an die Vergiftungszentralen zu melden und die Daten zu publizieren. Dem National Poisons Information Service des Vereinigten Königreichs wurden 2020 157 % mehr Vergiftungen durch alkoholische Handdesinfektionsmittel gemeldet als im Vorjahr.

Quelle: Richards GC. BMJ Evid Based Med 2020; DOI: 10.1136/bmjebm-2020-111568