dDMP als Riesenchance Das digitale Diabetes-Management-Programm könnte großen Fortschritt bringen
Wenige gesundheitspolitische Neueinführungen waren über die Jahre so erfolgreich wie 2002 das Diabetes Management Programm Diabetes mellitus Typ 2. Über 5 Millionen Patienten sind bisher eingeschrieben, mehr als die Hälfte der Menschen mit einem diagnostizierten Typ-2-Diabetes. Die Teilnahme für die Patienten ist freiwillig, die wirtschaftliche Relevanz des DMP für die Praxen nicht zu unterschätzen, für DSP sogar von entscheidender Bedeutung.
Was sind die Ziele des DMP, egal ob analog oder digital? Leitliniengerechte Behandlung, bundesweit einheitliche Dokumentation, Patientenschulungen, Vereinbarung individueller Therapieziele zwischen Arzt und Patient, regelmäßige Folgeuntersuchungen und aktive Mitwirkung des Patienten. Diese Ziele werden allerdings oft nicht erreicht. Patienten wollen sich nicht schulen lassen, die individuellen Therapieziele fallen in der knappen Sprechstundenzeit unter den Tisch, Folgeuntersuchungen werden allzu oft vergessen. Eine flächendeckende Evaluation des DMP in Deutschland hat es nie gegeben. Man spricht in diesem Zusammenhang von einem Datenfriedhof. Das ist immer wieder kritisch angemerkt worden, aber weder die Kassen noch die Politik noch die Diabetologen wollten diesen Zustand ändern. Ob eine rückläufige Einschreibequote von 50 Prozent nun ein Erfolg oder ein Misserfolg ist, wird ebenso wenig diskutiert wie über die ebenfalls rückläufige Zahl von geschulten Patienten, die wahrscheinlich gerade einmal bei 30 Prozent liegt. Dazu kommt: Viele Patienten haben sich schon digitalisiert. Prozesse und Strukturen des DMP sind von der Digitalisierung weitgehend unberührt geblieben.
G-BA arbeitet das dDMP aus
Mit dem im März 2024 in Kraft getretenen Digital-Gesetz (DigiG) ist der GBA beauftragt worden, ein digitales DMP – als Alternative zum bisherigen analogen DMP – auszuarbeiten. Dieses soll zur Verbesserung des Behandlungsablaufs und der Qualität der medizinischen Versorgung beitragen, so der umfangreiche Bericht von fBeta. Es soll mindestens festgelegt werden, wie ePA, Medikationsplan, DiGA, TI-Messenger, Videosprechstunde und Telemedizin in die Versorgungsabläufe integriert werden können. Ein dDMP, welches gerade mal ein paar DiGA an das bisherige analoge DMP anflanscht, darf es also nicht geben. Es geht darum, nicht einfach aus analog digital zu machen, sondern die Chance zu nutzen, die Defizite bisher mit digitalen Lösungen und Verknüpfungen auszuräumen, die Versorgung zu verbessern, aber auch die Prozesse in der Arztpraxis zu verschlanken.
Leider bedienen sich die Autoren des dDMP-Vorschlags einer umständlichen Sprache und schwerfälligen Syntax, was der Bereitschaft breiter Kreise zur Lektüre und Verarbeitung deutliche Grenzen aufzeigt. Man wünscht sich ein Minimum an Didaktik und Methodik, denn der Vorschlag lohnt sich. So stehen die Begriffe „Steuerpunkte“ und „Eskalationshierarchien“ im Zentrum des Konzepts DiGA.Pro (Teilprojekt dDMP).
Ein Steuerpunkt ist zum Beispiel die Durchführung eines Regeltermins. In partizipativer Entscheidungsfindung zwischen Arzt und Patient kann also der Praxistermin, die Videosprechstunde oder ein einfacher Text-Chat (also Mail z.B.) angesteuert werden. Die Umsetzung ist dann entweder digital oder analog.
Eine bekannte Eskalationshierarchie beim Typ-2-Diabetes ist die Intensivierung (Eskalation) der Therapie von den lebenstilbeeinflussenden Maßnahmen, über die oralen Medikamente bis zu verschiedenen Stufen der Insulintherapie. Bei der Unterstützung des Patienten kann man sich verschiedene Stufen der Intensivierung vorstellen, vom normalen Patientengespräch in der Praxis über die Videosprechstunde bis zu einer zeitlich befristeten telemedizinischen Begleitung. In Workshops mit Diabetologen konnte eine ganze Reihe von Steuerpunkten und Eskalationshierarchien erarbeitet werden aus den Themenfeldern Therapieplanung und -steuerung, Durchführung und Begleitung, Partizipation und Motivation. Die Inbeziehungsetzung von Technik und Versorgung ist geeignet, digitale Versorgungsabläufe zu konzipieren. So entstand eine digitale Grundausstattung des dDMP.
Drei Einführungshorizonte wurden vorgeschlagen, die von der Verfügbarkeit der digitalen Bausteine und der Telematikinfrastruktur ganz wesentlich abhängen. Das vorzeitige Aus der bisherigen Regierung und die zu erwartende monatelange Gesetzgebungsparalyse lassen die Horizonte in noch fernere Gestaltungsgalaxien verschwinden. Die Autoren sehen die Einführung des dDMP frühestens für 2026, die vollständige Ausrollung für 2030. Ärzte und Patienten brauchen sehr viel Geduld.
Ganz kurz sollen die drei Stufen skizziert werden. Zunächst wäre die ePA für alle die zentrale Datendrehscheibe für Ärzte und Patienten, mit der Transparenz und eine bessere Kooperation erzielt wird. Gleichzeitig sollte der TI-Messinger für die direkte, niederschwellige und flexible Kommunikation zwischen Arzt und Patient vorhanden sein. Im zweiten Schritt sollten granulare Daten verfügbar sein, behandlungsrelevant und zentral verwaltet. Zum dritten Einführungshorizont sollen die Patientendaten aus DiGA z.B. einfließen und analysiert werden können. Therapiesteuerung soll erleichtert und ein engmaschiges Monitoring, falls notwendig, ermöglicht werden. Ärzte sollen dann direkt von Hilfsmitteln in die ePA schreiben können, um vonseiten der Ärzte innovative, datengetriebene Anwendungen zur Therapiesteuerung in die Versorgung einzubringen. Das wäre die Verbindung von Diabetestechnologie mit der Telematikinfrastruktur – endlich! Schließlich soll die nationale eHealth-Infrastruktur auch für (firmengestützte) regelrechte dDMP-Management-Systeme geöffnet werden, um Ärzten nutzerfreundliche Datenauswertungen, Prozessbeschleunigungen, leitliniengestützte Versorgungssteuerung und fachliche Entscheidungshilfen zu bieten.
Eine große Chance für die Diabetologie
Das mag sich noch sehr abstrakt anhören. Dennoch kann man es als einen ernsthaften Versuch werten, eine wesentliche Einnahmequelle für niedergelassene Diabetologen in die digitale Zukunft zu transformieren. Zögerlichen Ärzten sei noch einmal der Hinweis gegeben, dass das bestehende analoge DMP nicht ersetzt werden soll, sondern dass Arzt und Patient über eine digitale Alternative verfügen.
Für Akzeptanz und Erfolg wird es entscheidend sein, dass die mit dem dDMP Diabetes neu eingeführten digitalen Abläufe gut funktionieren, für die Patienten wie auch für die Ärzte. Dies spricht für einen zunächst eher schmal gehaltenen Einstieg ins dDMP, der dann Schritt um Schritt erweitert wird. Eine ganz andere Frage ist, ob der G-BA sich diese Vorschläge – immerhin von vielen diabetologischen Experten aus dem niedergelassenen Bereich, einer Arbeitsebene des BMG (übersteht in der Regel Regierungen, die kommen und gehen) sowie Profis von Bertelsmann-Stiftung und fBeta, also erfahrene Politikberatung erarbeitet – versteht, akzeptiert und dann auch umsetzt.
Große Alternativen dazu sind nicht am Horizont, da die Diabetologie aus sich selbst heraus solche umfassenden Konzepte bisher nicht erstellt hat.
TAKE AWAYS
Das dDMP (digitales Diabetes-Management-Programm) soll die Versorgung von Menschen mit Diabetes nachhaltig verbessern. Mit ePA, TI-Messenger und DiGA-Verknüpfungen bietet es digitale Lösungen zur Therapieoptimierung, Datenauswertung und Prozessbeschleunigung, was eine große Chance für Patienten und Behandler darstellt. Die Einführung wird schrittweise ab 2026 erwartet und soll das bisherige DMP ergänzen, nicht ersetzen.