Darmkrebsscreening Das Gute noch besser machen
Im Vergleich zu Ländern ohne Screeningprogramm ist die Darmkrebssterblichkeit in Deutschland niedrig. Seit Einführung des opportunistischen Screenings mittels Koloskopie im Jahr 2002 hat sich die Rate hierzulande deutlich verringert. Dagegen sind die Zahlen beispielsweise in Norwegen, Schweden und Estland im gleichen Zeitraum nahezu konstant geblieben. Doch auch wenn Deutschland in Europa gut dasteht, kann die Vorsorge auch hier noch besser werden, betonte Privatdozent Dr. Michael Hoffmeister vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg.
Seit 2019 erhalten Männer im Alter von 50 Jahren eine Einladung zur Koloskopie. Eine zweite steht mit 60 an. Mit einem zusätzlichen Vorsorgeangebot ab 70 ließe sich die Zahl der darmkrebsbedingten Todesfälle nochmals deutlich senken, erklärte Dr. Hoffmeister. Zusammen mit Kollegen hat er modelliert, welchen Effekt eine Ausweitung des bisherigen Screeningprogramms hätte.
Eine weitere Möglichkeit, die Darmkrebsvorsorge zu optimieren wäre, die Teilnahmebereitschaft an dem Programm zu steigern. Ansätze dafür gibt es verschiedene.
Eine Stellschraube ist das Einladungsverfahren
In einer Studie aus dem Jahr 2020 mit 17.532 Krankenversicherten legten Dr. Hoffmeister und Kollegen den Fokus auf das Einladungsverfahren zum fäkalen immunologischen Test (FIT). Die Forscher verglichen drei verschiedene Vorgehensweisen:
- nur Einladungsschreiben
- Einladungsschreiben + FIT-Bestelloption
- Einladungsschreiben + beigefügter FIT
Der Anteil derjenigen Teilnehmer, die innerhalb eines Jahres das FIT-Angebot wahrnahmen, lag in der reinen Einladungsgruppe bei 10 % – im Vergleich zu 27,7 % bzw. 29,7 % bei den beiden anderen Modellen.
Um das Screening zukünftig noch besser zu machen, müsse man die Nutzung der bereits existierenden Angebote wie FIT und Koloskopie optimieren, so das Fazit des Referenten. Zudem sei es wichtig, den Fokus stärker als bislang auf Risikogruppen zu legen, z.B. auf Menschen mit positiver Familienanamnese. „Riesenpotenziale“, so Dr. Hoffmeister, biete auch die Primärprävention. Man geht davon aus, dass mehr als 40 % der Darmkrebsfälle auf Lebensstilfaktoren zurückzuführen sind, darunter:
- Übergewicht
- Rauchen
- unausgewogene Ernährung
- zu wenig Bewegung
- zu viel Alkohol
Dennoch sind die meisten Screeningprogramme nicht nach dem individuellen Risiko der Patienten stratifiziert, beklagte Professor Dr. Dieter Schilling vom Diako Mannheim. Durch eine risikoadaptierte Darmkrebsvorsorge ließen sich seiner Meinung nach im Idealfall
- die Teilnehmerate erhöhen,
- die medizinische Qualität verbessern,
- mögliche Schäden durch unnötige Koloskopien reduzieren und
- die Gesamtkosten des Screenings verringern.
Scores, mit denen sich das individuelle Darmkrebsrisiko von Patienten abschätzen lässt, gibt es einige. Je nach Verfahren werden Faktoren wie Geschlecht, Alter, Familienanamnese, Lebensstil und Umwelt berücksichtigt. Eine erste Risikostratifizierung könnte beispielsweise im Rahmen des Check-up 35 erfolgen, erklärte Prof. Schilling. Idealerweise würde man auf dieser Basis einen individuellen Vorsorgeplan für jeden einzelnen Patienten erstellen, in dem festgehalten wird, wann und mit welchem Verfahren gescreent werden soll.
Bislang bleibt das familiäre Risiko im Vorsorgeprogramm weitestgehend unberücksichtigt, kritisierte auch Professor Dr. Frank Kolligs vom Helios Klinikum Berlin-Buch. Dabei hat jeder zehnte Erwachsene einen erstgradigen Verwandten mit Darmkrebs und es ist bekannt, dass das Risiko für ein kolorektales Karzinom bei familiärer Belastung um das Zwei- bis Sechsfache höher liegt als bei negativer Familienanamnese.
Alle drei Referenten waren sich einig: Die bisherigen Bemühungen hinsichtlich Darmkrebsscreening in Deutschland zeigen Wirkung. Doch die Möglichkeiten sind noch lange nicht ausgeschöpft.
Kongressbericht: Viszeralmedizin 2021