Herz, Muskeln, Magen oder Hirn? Thorakale Schmerzen richtig einordnen
Bei allen Patientinnen und Patienten, die sich wegen Brustschmerzen telefonisch oder persönlich an die Hausarztpraxis wenden, gilt es, sofort die Dringlichkeit einzuschätzen (s. Kasten). Wichtig ist ein standardisiertes Vorgehen mit klaren Rollen und Entscheidungskompetenzen für ärztliche Mitarbeitende und medizinische Fachangestellte, heißt es in der Leitlinie der DEGAM und weiterer Fachgesellschaften.
Verhaltensregeln mit auf den Weg geben
Falls die Situation nicht als unmittelbar bedrohlich erachtet wird, sollten psychische und soziale Faktoren von Anfang an mit erhoben werden. Das kann einer Fixierung auf somatische Ursachen vorbeugen. Wenn keine stationäre Einweisung erforderlich ist, schafft man am besten ein „Sicherheitsnetz“. Dazu gehört es, Verhaltensweisen und Kontaktdaten mit auf den Weg zu geben für den Fall, dass sich ein gefährlicher Verlauf ankündigt oder die Symptome dem Betroffenen bedrohlich erscheinen.
Thoraxschmerzen erfordern immer die Einschätzung des KHK-Risikos. Folgende Faktoren und Symptome deuten auf die Herzerkrankung hin:
- männlich ≥ 55 Jahre, weiblich ≥ 65 Jahre
- vaskuläre Erkrankung, Herzinsuffizienz oder Diabetes bekannt
- belastungsabhängige Beschwerden
- Druckgefühl in der Brust
- Betroffene ordnen Schmerz dem Herzen zu
- Hausärztin oder Hausarzt vermutet ernste Ursache
Eine KHK unwahrscheinlicher machen Druckempfindlichkeit, durch Palpation auslösbarer oder stechender Schmerz sowie Husten. Zur konkreten Stratifizierung eignet sich der speziell für die Hausarztpraxis entwickelte Marburger Herzscore.
Bei einer mittleren bis hohen Wahrscheinlichkeit für eine KHK bzw. ein akutes Koronarsyndrom (ACS) folgt ein Ruhe-EKG, sofern dies andere dringliche Maßnahmen nicht verzögert. Dabei ist zu bedenken, dass eine normale Herzstromkurve in dieser Situation ein ACS nicht mit hinreichender Sicherheit ausschließt. Bei Zeichen für einen ST-Hebungsinfarkt oder eine akute Ischämie muss der Betroffene sofort stationär eingewiesen werden. Ein Troponin-Point-of-Care-Test reicht in dieser Situation nicht zum Ausschluss eines ACS.
Allerdings sind längst nicht alle Brustschmerzen kardiogener Genese. Auf eine Angststörung als Ursache weisen z. B. wiederholte Angst- und Panikattacken und anfallsartige, unklare Körpersymptome wie Tachykardien, Schwindel und Luftnot (Hyperventilation).
Kriterien, um eine lebensbedrohliche oder instabile Situation einzuschätzen
- veränderte Vitalparameter im Sinne eines akuten Kreislaufversagens
- Bewusstseinseintrübung und/oder Verwirrtheit
- (unmittelbar vorangegangene) Synkope oder Kollaps
- Zeichen einer oberen Einflussstauung
- Kaltschweißigkeit
- neu aufgetretene Dyspnoe in Ruhe
- ausgeprägte Angst des Betroffenen
Mit zwei Fragen eine Depression ausschließen
Die Depression lässt sich oft bereits mit zwei Fragen erahnen: „Haben Sie sich im vergangenen Monat häufig niedergeschlagen, depressiv oder hoffnungslos gefühlt?“ und „Hatten Sie in den letzten vier Wochen oft wenig Interesse an Dingen, die Ihnen früher Spaß gemacht haben?“ Werden beide Fragen verneint, ist eine schwere Störung weitgehend ausgeschlossen.
Den Nachweis einer somatischen Belastungsstörung erleichtern standardisierte Scores, z. B. die Somatic Symptom Scale 8 (SSS-8) und der Somatic Symptom Disorder 12 (SSD-12). Die Diagnose stützen körperliche Symptome, die belastend sind und/oder das tägliche Leben empfindlich beeinträchtigen, ebenso ein anhaltend hohes Maß an Ängsten bezüglich Gesundheit und Symptomen. Dieser Zustand sollte länger als sechs Monate fortbestehen, wobei die einzelnen Beschwerden nicht ständig vorhanden sein müssen.
Auf ein Brustwandsyndrom deuten lokalisierte Muskelverspannungen und stechende oder gut lokalisierte Schmerzen hin, die durch Palpation reproduzierbar sind. Eher unwahrscheinlich ist das Syndrom bei bekannter KHK oder Gefäßerkrankung, drückender oder retrosternaler Algesie, Luftnot, Atemwegsinfekt und Husten. Auch bei hausärztlicher Besorgnis um den Kranken sollte eine Interkostalmyalgie infrage gestellt werden.
Eine gastrointestinale Ursache für den Brustschmerz liegt nahe, wenn die Beschwerden abhängig von der Nahrungsaufnahme auftreten oder durch Schlucken ausgelöst werden bzw. Sodbrennen, Übelkeit und Erbrechen vorliegen. Dagegen sprechen Bewegungsabhängigkeit sowie belastungsabhängige oder atemabhängige Schmerzen.
Quelle: S3-Leitlinie „Brustschmerz – DEGAM-Leitlinie für die primärärztliche Versorgung“, AWMF-Register Nr.: 053-023, www.awmf.org