Akuten Brustschmerz in der Hausarztpraxis abklären
Akute Brustschmerzen machen Angst – nicht nur dem Kranken, sondern oft auch dem Arzt. Mit zunehmendem Alter stellen sie immer öfter den Grund für einen Besuch beim Hausarzt dar, die höchste Inzidenz weisen mit 3,7 % 45- bis 64-Jährige auf. Die meisten Patienten können abschließend in der allgemeinmedizinischen Praxis versorgt werden, dennoch darf man natürlich nichts übersehen.
Die Mehrzahl der Betroffenen lokalisiert die Beschwerden im Bereich des linken vorderen Hemithorax zwischen Sternum und vorderer Axillarlinie. Häufigste Ursache in der Primärversorgung ist mit 24,5–49,8 % ein Brustwandsyndrom, schreiben Privatdozent Dr. Guido Schmiemann von der Abteilung für Versorgungsforschung der Universität Bremen und Professor Dr. Stefan Frantz, Medizinische Klinik am Universitätsklinikum Würzburg. Weit abgeschlagen folgen kardiovaskuläre (13,8–16,1 %) und pulmonale (10,3–18,2 %) Erkrankungen.
Sechs Gründe, den Notarzt zu rufen
Je nach Anamnese und klinischer Symptomatik entscheiden Sie, ob Sie ein abwartendes Offenhalten (aktiver Verzicht auf weiterführende Diagnostik) vertreten können oder ein „abwendbar gefährlicher Verlauf“ droht, also eine evtl. fatale Entwicklung einer schweren Erkrankung, die sich durch rechtzeitiges Erkennen und Behandeln vermeiden lässt.
Zunächst sollten Sie die Dringlichkeit der Beschwerden klären. Folgende Kriterien machen nach der Leitlinie Brustschmerzen der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin eine Situation potenziell lebensgefährlich und erfordern die sofortige Krankenhauseinweisung:
- Zeichen des akuten Kreislaufversagens
- Bewusstseinstrübung und/oder Verwirrtheit
- unmittelbar vorangegangene Synkope oder Kollaps
- Kaltschweißigkeit
- aktuell Dyspnoe in Ruhe
- ausgeprägte Angst
Liegt keines dieser Zeichen vor, können Sie erst einmal aufatmen und versuchen, die Beschwerden besser einzuordnen.
Richtig oder falsch?
Verdacht auf KHK
Besteht der Verdacht auf eine koronare Herzerkrankung, sollten Sie natürlich zunächst die bekannten Risikofaktoren in die Waagschale werfen. Ergänzend kann der Marburger Herz-Score (s. untere Tabelle) hilfreich sein. Falls sich der Verdacht erhärtet, muss ein akutes Koronarsyndrom ausgeschlossen werden, d.h., EKG schreiben, Troponintest und im Fall der Fälle oder beim geringsten Zweifel – negative Ergebnisse geben keine letzte Sicherheit – den Notarzt rufen. Zum Glück bestätigt sich bei den meisten Patienten in der Klinik der akute Infarkt nicht.Marburger Herz-Score | ||
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Kriterien | ja | nein |
Höheres Alter (Männer > 55 Jahre, Frauen > 65 Jahre) | 1 | 0 |
Vermutet der Patient ursächlich eine kardiale Erkrankung? | 1 | 0 |
Sind die Schmerzen abhängig von körperlicher Belastung? | 1 | 0 |
Lassen sich die Schmerzen durch Palpation reproduzieren? | 0 | 1 |
Ist eine vaskuläre Erkrankung bekannt? | 1 | 0 |
Beträgt der Scorewert ≤ 2 Punkte, liegt die Wahrscheinlichkeit für eine KHK bei weniger als 5 % |
Verdacht auf akute Lungenembolie
Eine akute Lungenembolie ist selten und bedarf der stationären Behandlung. Der Wells-Score (s. obere Tabelle) bietet Unterstützung in der Abschätzung der Wahrscheinlichkeit. Bei hohem Risiko sollten umgehend ein CT sowie eine Echokardiographie durchgeführt werden. Liegt das Risiko auf mittlerem Niveau, empfehlen sich weitere Untersuchungen wie beispielsweise der D-Dimer-Test.Well-Score | |
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Kriterium | Punktzahl |
Zeichen einer tiefen Beinvenenthrombose | 3 |
keine andere Diagnose ist wahrscheinlicher | 3 |
Herzfrequenz > 100/min. | 1,5 |
Bettruhe oder OP in den letzten 4 Wochen | 1,5 |
Lungenembolie oder tiefe Beinvenenthrombose in der Vorgeschichte | 1,5 |
Hämoptoe | 1 |
Therapie eines Karzinoms in den letzten 6 Monaten | 1 |
0-1 Punkt(e): niedriges Risiko, 2-6 Punkte: mittleres Risiko, > 6 Punkte: hohes Risiko |
Verdacht auf Atemwegserkrankung
Die Pneumonie macht zwar nur 2 % der Fälle aus, stellt aber ein gutes Beispiel für einen abwendbar gefährlichen Verlauf dar. Meist erfordert sie keine Krankenhauseinweisung. Ein jüngeres Alter (< 65 Jahre), keine schweren Grunderkrankungen, klares Bewusstsein, gesunde Werte (Puls < 120/min, Atemfrequenz < 30/min, systolischer Blutdruck > 90 mmHg, Temperatur > 35 °C und < 40 °C) und fehlende Zeichen einer schweren Pneumonie (z.B. Dyspnoe, Hypoxämie, Pleuraerguss) sprechen für die hausärztliche Versorgung. Außerdem sollten die Patienten nicht suchtkrank sein und in der Lage, Medikamente oral zu nehmen.Verdacht auf tiefe Beinvenenthrombose
Eine tiefe Beinvenenthrombose kann in der Regel ebenfalls in der Praxis behandelt werden. Unverzichtbar ist aber ein Ultraschall. Gibt es dafür zeitnah keine Möglichkeit, sollte der Patient bis zur Diagnosestellung antikoaguliert werden.Quelle: Schmiemann G, Frantz S. Dtsch Med Wochenschr 2019; 144: 659-664