DGHO 2020: „Business as usual“ plus COVID-19
Welche Arbeitsschwerpunkte hatte sich der DGHO-Vorstand ursprünglich für das Jahr 2020 vorgenommen?
Professor Dr. Lorenz Trümper: Ein Schwerpunkt war die Frühjahrstagung im März, die wie immer ein gesundheitspolitisches und ein medizinisches Thema aufgreifen sollte. Wir hatten die Ökonomisierung in der Medizin für den gesundheitspolitischen Tag in den Vordergrund gestellt – von der Preisfindung für die CAR-T-Zelltherapie über die zunehmende Zahl von Praxen in Ketten, die eine Art Superökonomisierung der ambulanten Versorgung bedeutet, bis hin zur Situation in der Pflege. Im medizinischen Teil hätte die Immuntherapie im Vordergrund gestanden. Die schön geplante Frühjahrstagung haben wir natürlich abgesagt, aber die wird wiederholt!
Andere Schwerpunkte sind geblieben, beispielsweise die Nachwuchsförderung und die Erarbeitung der neuen Richtlinien zur Musterweiterbildungsordnung, bei denen die DGHO in vielen Verfahren eine sehr prominente und konstruktive Rolle einnimmt, und die Leitlinien in Onkopedia, die trotz Corona und auch wegen Corona an vielen Stellen ausgebaut und erweitert worden sind.
Vor welchen Herausforderungen standen Sie im März 2020, als die erste COVID-19-Infektionswelle in Deutschland auftrat?
Prof. Trümper: Die Herausforderung für uns als Fachgesellschaft war, ihre Mitglieder und auch die Patienten, die von den Mitgliedern versorgt werden, in adäquater Weise zu informieren und darauf hinzuweisen, was in dieser Situation wichtig ist.
In der Klinik mussten wir drei Dinge bewerkstelligen: Einmal in den alltäglichen Routinen im ambulanten wie stationären Setting die Gefahr dieser Infektion bzw. die Abwehr dieser Infektion integrieren. Wir mussten die individuelle Versorgung unserer Krebspatienten trotz der drastischen Einschränkungen im Krankenhausbetrieb sichern und dafür sorgen, dass unter den Isolationsbedingungen lebensnotwendige Krebstherapien nicht verschoben oder abgesetzt werden. Und wir mussten, was keiner vorher kannte, SARS-CoV-2-infizierte Krebspatienten richtig behandeln. Auf alle drei Herausforderungen hat die DGHO reagiert und informiert. Wir haben eine Onkopedia-Leitlinie für COVID-Patienten aufgesetzt und dann in sehr guter Zusammenarbeit mit unseren 120 Fachexperten für jede einzelne onkologische Erkrankung eine nicht evidenz-, aber eminenzbasierte Empfehlung zur Behandlung in Corona-Zeiten angehängt. Die Aufrufe der Webseite zeigen, dass diese vor allem im April extrem häufig genutzt worden ist. Und da wir auch auf europäischer Ebene in den Konsortien eng kooperieren, haben wir sehr schnell Kenntnisse von Kollegen aus anderen europäischen Ländern aufnehmen und weitergeben können. Inzwischen ist die Leitlinie zur Onkologie in Coronazeiten in der 15. Version abrufbar.
Zudem haben wir uns über die sehr aktive Arbeitsgemeinschaft für Infektionen in der Hämatologie, die AGIHO, früh an den Initiativen zur Registrierung der Patienten im LEOSS-Register und jetzt auch in der nationalen Kohorte beteiligt.
Wie hat sich organisatorisch die Arbeit im Vorstand der DGHO verändert?
Prof. Trümper: Wir haben eine ganz normale Vorstandsarbeit, die wie überall derzeit über Videokonferenzen stattfindet. Die Geschäftsstelle hat in der ersten Zeit im Homeoffice gearbeitet. Das ging sehr gut, wir hatten sogar häufiger Vorstandssitzungen, als das sonst üblich ist. Im Juni hat es eine einzige Präsenzsitzung in Berlin gegeben, natürlich mit Mundschutz und Abstandsregeln. Auf eine solche Sitzung hatte ich persönlich Wert gelegt – über Monate keinen persönlichen Kontakt zueinander zu haben, fand ich sehr anstrengend.
Welche Schwerpunkte stehen aktuell im Vordergrund der Arbeit der DGHO?
Prof. Trümper: In den regelmäßigen Vorstandssitzungen haben wir vorrangig die Integration von COVID-19 in die Routinen bearbeitet, aber alles andere läuft natürlich auch weiter. Aktuell machen wir „Business as usual“ plus COVID-19 – alles was COVID-19 betrifft, ist zu der übrigen Arbeit dazugekommen. Momentan kümmern wir uns zum Beispiel um die Implementierung eines Lungenkrebsscreenings in Deutschland. Auch mit dem Bundesamt für Strahlenschutz arbeiten wir zusammen, um die PET-CT Indikation in Deutschland endlich auf ein international vergleichbares Niveau zu heben. Und wir sind dabei, die Zertifizierungsverfahren von DGHO und Deutscher Krebsgesellschaft erfolgreich zusammenzuführen. Außerdem gibt es interessante Fragestellungen bei angeborenen Bluterkrankungen wie der Sichelzellkrankheit, die durch die Migration bei uns zunehmend häufiger werden. Für diese Erkrankungen werden jetzt die ersten echten Gentherapien in Europa zugelassen und wir sind auch involviert in der Frage des Neugeborenenscreenings.
Was bedeutete für die DGHO als eingetragener Verein mit den damit zusammenhängenden Unternehmen wie der Service-GmbH die COVID-19-Krise finanziell?
Prof. Trümper: Ich glaube, es ist jedem kleinen Betrieb so gegangen, dass man in der Krise schon Ängste bekommen hat, wie das denn weitergehen soll. Uns fehlen ja Einnahmen zum Beispiel aus der Frühjahrstagung. Kosten für Personal oder Onkopedia haben wir aber weiterhin. Das ist aufgrund unserer Rücklagen gelungen und im Moment funktioniert das gut. Die Mitglieder stehen voll hinter der Fachgesellschaft, sie sehen, was wir in der Krise geleistet haben.
Gibt es schon erste Ergebnisse aus der Umfrage unter Onkologinnen und Onkologen zu den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf ihren Arbeitsalltag?
Prof. Trümper: Wir haben eine sehr hohe Beteiligung gehabt. Die Ergebnisse werden noch ausgewertet und zum DGHO-Kongress vorgestellt. Zwei Fakten kann ich aber schon nennen. In den Kliniken merken wir eine Zunahme der Patientenzahlen, auch stationär. In der Uniklinik Göttingen hatten wir im Juli und August eine massive Patientenzunahme gegenüber den Lockdown-Monaten. Das geht allen Kliniken so. Zum Zweiten gehen wir alle davon aus, dass wir mit Beginn der kälteren Jahreszeit, wenn es generell zu einer Zunahme von respiratorischen Infektionen kommt, auch einen erneuten Anstieg der COVID-19-Infektionsfälle haben werden, auf die wir jetzt hoffentlich besser vorbereitet sind als im Februar.
Medical-Tribune-Interview