Rätselhafte Blutbläschen Diagnose und Therapie zerebraler Kavernome
Zerebrale kavernöse Malformationen (CCM) treten in der Allgemeinbevölkerung mit einer Prävalenz von 0,5 % auf. Es handelt sich um kompakte Ansammlungen von schwammartigen Gefäßräumen ohne dazwischenliegendes Nervenparenchym, die im Gehirn oder Rückenmark auftreten. Bei chirurgischen Eingriffen erscheinen sie als Bläschen oder blutgefüllte Blasen, oft einer Weintraube ähnelnd.
In den weitaus meisten Fällen (85 %) handelt es sich um einzelne, sporadisch auftretende Läsionen, die durch somatische Varianten ausgelöst werden. Multiple CCM sind mit pathologischen Keimbahnmutationen assoziiert (v.a. der Gene CCM1, CCM2 und CCM3) oder die Folge einer kranialen Radiatio. Insbesondere eine Strahlentherapie vor dem zehnten Lebensjahr und/oder mit einer Gesamtdosis von mehr als 3.000 cGy gilt als Risikofaktor, so Prof. Dr. Edward Smith vom Department of Neurosurgery des Children’s Hospital Boston.
Symptome verursacht das Kavernom typischerweise bei einer Blutung oder einem Wachstum der Läsion. Rund die Hälfte der Patienten leidet an fokalen Anfällen und ein Viertel entwickelt neurologische Defizite. Sporadische CCM bilden sich überwiegend in den Hemisphären (66 %) und im Hirnstamm (20 %), seltener entstehen sie im Zerebellum, den Basalganglien oder in tiefen Kerngebieten. Die Hämorrhagien verlaufen wegen des geringeren Volumens seltener letal als bei arteriovenösen Malformationen oder Aneurysmen. Je nach Studie bleiben 20–50 % der CCM asymptomatisch und fallen erst z.B. bei der Abklärung von Kopfschmerzen auf.
Von den Patienten mit nicht-familiärer Fehlbildung und zufällig entdeckten Läsionen entwickeln pro Jahr etwa 0,1–1 % eine Hämorrhagie. Haben die Patienten bereits wegen einer intrakraniellen Blutung medizinische Hilfe gesucht, sind es 3–10 %. Die Wahrscheinlichkeit für ein Rezidiv in den ersten ein bis fünf Jahren nach dem initialen Ereignis liegt bei 14–56 %.
Wenn die erbliche Form der Erkrankung vorliegt, beträgt das jährliche Hämorrhagie-Risiko etwa 4 %. Rund 60 % der Betroffenen erleiden eine symptomatische Blutung, bei 32–60 % geht diese mit Krampfanfällen einher. Deshalb empfehlen die Autoren eine engmaschige Verlaufskontrolle für Patienten mit erblichen CCM und für Kinder. Besonders wichtig ist diese nach erstmals aufgetretenen Symptomen.
Zerebrale Kavernome weisen in der MRT typischerweise ein sogenanntes Popcorn-Muster auf. Die sporadische Form ist oft mit einer venösen Anomalie verbunden und blutende CCM zeigen einen hämosiderinhaltigen Randsaum. Die bildgebende Diagnostik ermöglicht eine therapeutisch relevante Differenzierung zwischen sporadischen singulären Läsionen und erblichen multiplen Veränderungen. Die CT ist zwar weniger sensitiv in der Detektion von Kavernomen, zeigt aber Blutungen und visualisiert Kalzifikationen in schon länger bestehenden Veränderungen.
Histopathologie der CCM
Bei der histopathologischen Untersuchung der zerebralen kavernösen Malformationen (CCM) fallen kapilläre Strukturen auf, die hauptsächlich Endothelzellen enthalten – ohne oder mit wenig neuralem Gewebe zwischen den Gefäßen. Es mangelt an glatter Muskulatur und Bindegewebe, was die Rupturgefahr der dünnen Wände erhöht.
Eine molekulargenetische Analyse ist in den meisten Fällen nicht erforderlich, weil die singuläre Malformation als häufigste Form typischerweise sporadisch auftritt. Indiziert ist das Screening bei multiplen Läsionen, familiärer Belastung oder Begleitbefunden wie Hämorrhagien sowie CCM-verdächtiger Bildgebung. Auch neurologische Symptome (z.B. Krampfanfälle) in der Familie können ein Anlass sein.
Viele Patienten mit Kavernomen fragen nach vermeidbaren Risikofaktoren für eine Blutung. Diese sind bislang nicht bekannt. Sport erhöht die Blutungsgefahr wahrscheinlich nicht – das gilt selbst für Kontaktsportarten, die Gehirnerschütterungen auslösen können, etwa Fußball und Boxen. Gegen Flugreisen und Aktivitäten in Freizeitparks bestehen nach derzeitigem Kenntnisstand ebenfalls keine Einwände.
Als First-Line-Therapie wird für die meisten symptomatischen CCM die operative Resektion empfohlen. Prospektiv ermittelte Studiendaten liegen hierzu zwar noch nicht vor, wohl aber die meiste Erfahrung. Durch den Eingriff lässt sich Fallserien zufolge bei 80 % der Patienten eine Anfallskontrolle erreichen. Etwa 1 % der so Behandelten erleidet ein Rezidiv und 4 % entwickeln infolge der Intervention neurologische Defizite. Eine individuelle Nutzen-Risiko-Kalkulation erfordern Malformationen, die weder Blutungen noch andere Symptome ausgelöst haben oder sich in riskanten Regionen wie Hirnstamm und Thalamus befinden.
Eine mögliche Alternative zur Operation bietet die stereotaktische Radiotherapie. Ihre Domäne sind vor allem chirurgisch nicht erreichbare Kavernome. Auch symptomatische Patienten mit sporadischen Läsionen und erhöhtem Operationsrisiko können davon profitieren. Rund 56 % erreichen eine klinische Verbesserung. Minimalinvasive Verfahren wie die LITT* haben das Spektrum der behandelbaren Kavernome erweitert, es fehlen jedoch noch Vergleichsstudien mit der operativen Resektion. Möglicherweise lassen sich die Kavernome auch medikamentös behandeln. Für Propranolol und Statine konnte eine geringe, aber signifikante Reduktion der Blutungsrate gezeigt werden, allerdings ohne Einfluss auf den stationären Therapiebedarf.
* Laser Interstitial Thermal Therapy
Quelle: Smith ER. New Engl J Med 2024; 390: 1022-1028; DOI: 10.1056/NEJMra2305116