Diagnostik bei Dysosmien und Dysgeusien

Autor: Dr. Sascha Bock

Ist der Feingeschmack betroffen, können Weine und Gewürze nicht identifiziert werden. Weder durch den Geschmacks-, noch durch den Geruchssinn. Ist der Feingeschmack betroffen, können Weine und Gewürze nicht identifiziert werden. Weder durch den Geschmacks-, noch durch den Geruchssinn. © fotolia/auremar

Über Geruch lässt sich bekanntlich streiten. Gut, eigentlich über den Geschmack. Oft gehen Defizite der olfaktorischen und gustatorischen Wahrnehmung aber Hand in Hand. Ihr Spürsinn ist gefragt, um Betroffene vor den Gefahren im Alltag zu schützen.

Als ein 67-jähriger Mann seinen Hausarzt aufsucht, plagt ihn bereits seit zwei Monaten ein „reduzierter Geschmack“. Begleitende Geruchseinschränkungen lassen sich aktuell nicht ausschließen. Vor drei Monaten litt der Patient an einer starken Erkältung. Der Kollege stößt bei der Inspektion auf eine Parodontitis, empfiehlt Mundspülungen, eine zahnärztliche Vorstellung und eine Kontrolle in drei Wochen. Gegen die vermeintliche Riech- und Schmeckstörung unternimmt er nichts.

Gas oder verdorbenes Essen zu spät wahrgenommen

Dabei sollten derartige Beschwerden keineswegs bagatellisiert werden, schreiben Dr. Gerold Besser von der Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten in Wien und Kollegen. Neben negativen Folgen für die Lebensqualität ernähren sich ältere Patienten mitunter einseitiger, wenn die Riechleistung abnimmt. Oder sie erkennen potenzielle Gefahren wie Gas, Brände und verdorbenes Essen womöglich zu spät. Unabhängig von der Fachrichtung raten die Autoren deshalb zu einer Basis­anamnese (sie­he Kasten).

Basisanamnese

  • Dauer der Beschwerden (Monate/Jahre)?
  • Plötzlicher oder allmählicher Beginn (Trauma, Infekt)?
  • Wann fällt die Einschränkung am meisten auf (z.B. Kochen)?
  • Grober Geschmack – süß, sauer, salzig, bitter, umami – eingeschränkt (Zunge frei beweglich, Reflux, gatrointestinale Erkrankungen)?
  • Feingeschmack – Wein, Gewürze etc. – eingeschränkt (Appetit, Gewichtsverlust)?
  • Ein- bzw. beidseitige Nasenatmungsbehinderung (Epistaxis, Sekretion, Allergien)?
  • Vorerkrankungen (OP, chronische Sinusitiden, Zungenbrennen)?
  • Zeitpunkt der letzten HNO-Bildgebung (Nebenhöhlen etc.)?

Ursachen

Bei dem 67-Jährigen hätte etwa die Frage nach dem Feingeschmack ein Problem mit eben diesem aufgedeckt – ein klarer Hinweis auf eine retronasale Dysosmie. Schließlich erreichen Duftmoleküle, die sich während des Kauens ausbreiten, über den Nasenrachen die olfaktorischen Zellen. Nur so gelingt es, Gewürze oder Wein überhaupt zu differenzieren. Patienten schreiben ein entsprechendes Defizit häufig dem Geschmackssinn zu. Isolierte Schmeckstörungen treten sehr selten auf. Zu den möglichen Auslösern zählen beispielsweise Infektionen, Nebenwirkungen von Medikamenten, gastroösophagealer Reflux und Erkrankungen der Speicheldrüsen. Sogar eine Depression kann hinter dem somatischen Symptom stecken. Riechstörungen entwickeln sich vorwiegend durch drei Ursachen:
  • Schädel-Hirn-Trauma (z.B. nach Auffahrunfall)
  • akute Infekte der oberen Atemwege (häufig Frauen > 50 Jahre)
  • chronische Sinusitiden mit oder ohne Polyposis nasi
Zudem gehen neurodegenerative Krankheiten vermehrt damit einher: Nur 3,3 % der Patienten mit idiopathischem Parkinsonsyndrom riechen „normal“. Als weitere Risikofaktoren gelten Diabetes, Adipositas sowie Rauchen (> 20 Zigaretten/Tag). Eine gezielte Differenzialdiagnostik erfolgt, wenn ein HNO-Arzt die häufigen sinugenen Ursachen ausgeschlossen hat – dann sollte frühzeitig auch ein Neurologe mit ins Boot.

Diagnostik

Für die initiale Einschätzung bedarf es keines Facharztes. Schauen Sie sich Zunge und Gaumenbogen an und prüfen Sie die Nasenatmung, indem Sie dem Patienten einen Spiegel bei geschlossenem Mund direkt unter die Nase halten. Atmet er jetzt aus, sollte der Spiegel beschlagen (sog. Atemflecke). Abseits der ausführlichen Riechtestung erlaubt der Alkohol-Sniff-Test eine rasche Orientierung. Dabei führt der Untersucher einen Alkoholfertig­tupfer langsam an die Nase des Patienten. Kann dieser den Geruch erst ab Kinnhöhe benennen, spricht das für eine Hyposmie. Im Alltag kommen oft standardisierte Duftstifte (Sniffin’ Sticks) zum Einsatz. Dieses Screening können Betroffene auch selbst durchführen. Analog dazu gibt es Schmeckstreifen (Taste Stripes). Der Geschmack sollte aber nie isoliert, sondern immer zusammen mit der olfaktorischen Wahrnehmung geprüft werden, betonen die Autoren. Tests mit Kaffee­satz und andere unmethodische Mittel halten sie für wenig sinnvoll. Bereits Normalriechende hätten Probleme, bestimmte Düfte ohne (visuelle) Antwortvorgaben zu identifizieren.

Therapie

Die Behandlungsmöglichkeiten von Riech- und Schmeckstörungen halten sich aktuell in Grenzen. Jedoch ist es wichtig, sich der Problematik anzunehmen. Betroffene bedanken sich häufig schon für die bloße Aufmerksamkeit – sogar wenn die Therapie nicht greift, schreiben die Experten. Das Wissen um die Erkrankung helfe, im persönlichen Umfeld die Akzeptanz zu erhöhen, z.B. für eine nachlässige Kontrolle des Körperduftes.

Systemische Steroide bei posttraumatischer Genese

Patienten mit postinfektiöser oder posttraumatischer Riechstörung profitieren offenbar von einem Riechtraining. Eine endoskopische Nasennebenhöhlen-OP bringt bei Anosmie plus Polyposis mehr als bei Hyposmie ohne Polypen. Hinsichtlich der posttraumatischen Genese scheint die frühzeitige sys­temische Gabe von Kortikostero­iden effektiv. Darüber hinaus können inflammatorische Auslöser (chronische Sinusitis, Allergie) auf topische und/oder systemische Steroide ansprechen. So auch bei dem eingangs genannten 67-jährigen Mann, der aufgrund persistierender Beschwerden letztlich selbstständig einen HNO-Arzt aufsuchte. Seine postinfektiöse Dysosmie besserte sich nach einer Therapie mit kortisonhaltigen Nasentropfen über zwei Wochen und einem sechsmonatigen Riechtraining deutlich.

Quelle: Besser G et al. InFo Neurologie und Psychiatrie 2018; 20: 32-37