Diabetes und Tumorerkrankungen „Die beste Krebsvorsorge ist die, an der viele Menschen teilnehmen“
Zur Person: Prof. Dr. Hans Scherübl
Prof. Dr. Hans Scherübl ist Internist, Gastroenterologe, Endokrinologe und Diabetologe. Der Leiter der Klinik für Gastroenterologie, Gastrointestinale Onkologie und Infektiologie am Vivantes Klinikum in Berlin-Kreuzberg interessiert sich u.a. für die Zusammenhänge zwischen Diabetes und Krebs. Er ist Sprecher der AG Diabetes und Krebs der DDG und wünscht sich, dass mehr Menschen in Deutschland Krebsvorsorgeleistungen in Anspruch nehmen. Dabei setzt er große Hoffnungen in niedrigschwellige Angebote, die Versicherten die Teilnahme erleichtern.
Tumorerkrankungen sind ebenso wie Diabetes auf dem Vormarsch – schon allein aufgrund der zunehmenden Alterung der Bevölkerung. „Da beides sehr häufig ist, gibt es natürlich auch viele Menschen, die von beidem betroffen sind“, meinte Professor Dr. Hans Scherübl. Und hierbei handelt es sich oft nicht um ein zufälliges Zusammentreffen der Erkrankungen.
Vielmehr gibt es auch kausale Zusammenhänge zwischen Diabetes- und Krebsinzidenz (s. Kasten). Allerdings ist das Wissen um diese Zusammenhänge auch in ärztlichen Kreisen noch nicht allzu weit verbreitet – weswegen die AG Diabetes und Krebs der DDG darüber aufklären und Früherkennung sowie Therapie verbessern möchte.
Glukose, Insulin und Inflammation befeuern das Tumorwachstum
Permanent erhöhte Blutzuckerspiegel können das Wachstum bestimmter Tumoren beschleunigen. Ähnliches gilt für Insulin, wie man aus tierexperimentellen und auch epidemiologischen Untersuchungen an Menschen weiß: „Wenn die Insulinkonzentration im Blut über einen langen Zeitraum hoch ist, wie es oft bei Übergewicht, Adipositas und Typ-2-Diabetes der Fall ist, dann steigt das Risiko für bestimmte Tumorerkrankungen“, sagte Prof. Dr. Scherübl. Denn Insulin und auch insulinähnliche Wachstumsfaktoren (IGF) können das Wachstum normaler Zellen ebenso beschleunigen wie das von Tumorzellen oder Tumorvorstufen. Auch der chronische Entzündungszustand, der im viszeralen Fettgewebe vorherrscht, wirkt sich ungünstig aus: „Das Fettgewebe ist ein endokrines Organ, das Unmengen von Zytokinen produziert, die als Entzündungsmediatoren im Blut freigesetzt werden. Und man weiß, dass dieser chronische Entzündungszustand auch das Risiko bestimmter Tumorerkrankungen erhöht.“
Welche Krebsarten treten bei Diabetes gehäuft auf?
Die Zahlen, die Prof. Dr. Scherübl nannte, lassen aufhorchen: So besteht für Menschen mit Diabetes ein erhöhtes Risiko für Darmkrebs (etwa +50 %), aber auch Pankreaskarzinome und Leberzellkarzinome (ca. +100 %). Auch Schilddrüsenkrebs oder urologische Tumoren wie das Nierenzell- und das Harnblasenkarzinom treten gehäuft auf. Frauen mit Diabetes haben ein höheres Risiko für Brustkrebs. Allerdings seien nicht alle Tumorerkrankungen assoziiert mit Diabetes. Prostatakarzinome etwa träten bei Männern mit Typ-2-Diabetes nicht häufiger auf – eher im Gegenteil. Im Mittel aber sei das Erkrankungsrisiko um Faktor 1,2 bis 1,7 erhöht, das Mortalitätsrisiko infolge von Krebs sogar um Faktor 2,7 höher als in der Normalbevölkerung.
Umso wichtiger ist es gerade für diese gefährdete Gruppe, die entsprechenden Angebote zur Krebsvorsorge wahrzunehmen. Bei Patient*innen mit Fettlebererkrankungen haben in der Regel die behandelnden Diabetolog*innen die Leber im Blick. „Doch für die anderen Tumorerkrankungen im Magen-Darm-Trakt, z.B. Speiseröhren-, Magen- oder Bauchspeicheldrüsenkrebs, gibt es momentan kein etabliertes Krebsvorsorge-Programm.“ Anders sieht es bei der Darmkrebsvorsorge aus, auf die alle Versicherten ab 50 Jahre Anspruch haben. Auch das Mammografie-Screening ist ein etabliertes Programm. Leider nehmen gerade Frauen mit Typ-2-Diabetes seltener daran teil als Frauen ohne Diabetes. „Insgesamt muss man aber sagen: Frauen sind viel besser als Männer bei der Krebsvorsorge. Männer sind wirklich katastrophal schlecht, sie sind richtige Vorsorgemuffel“, meinte der Spezialist.
Ärzt*innen müssen aktiv werden – und die Angebote einfacher
Wichtig ist es aus seiner Sicht, dass zum einen die betreuenden Hausärzt*innen und Diabetolog*innen Menschen mit Diabetes aktiv auf entsprechende Vorsorgeangebote ansprechen und ihnen erklären, warum sie daran teilnehmen sollten. Daneben brauche es aber auch niedrigschwellige Screening-Maßnahmen. Beispiel Darmkrebsvorsorge: Hier bekämen die anspruchsberechtigten Versicherten einzelner Krankenkasse einen Brief mit einem Stuhltest, den sie zu Hause mit einer Stuhlprobe selbst durchführen und dann einschicken können. „Damit erreichen Sie viel, viel mehr, als wenn die Leute sich einen Tag freinehmen, ihren Darm vorbereiten und dann zur Vorsorgekoloskopie gehen müssen!“
Schließlich sei die beste Krebsvorsorge diejenige, die auch tatsächlich genutzt wird. „Daran müssen wir arbeiten – und da werden wir auch besser werden“, zeigte sich Prof. Dr. Scherübl überzeugt. Im Übrigen seien auch Kampagnen zum Rauchverzicht oder für mehr Bewegung effektive Krebsprävention: „Wenn die ganze Bevölkerung einen gesunden Lebensstil pflegen würde, könnte man 40 % und mehr der Tumorerkrankungen in Deutschland verhindern.“
Doch auch die Art der medikamentösen Diabetestherapie spielt eine Rolle: So gehe aus sämtlichen epidemiologischen Untersuchungen hervor, dass Metformin mit einem geringeren Krebsrisiko einhergeht als Substanzen wie Insulin oder Sulfonylharnstoff. „Das ist auch mit ein Grund, warum Metformin in der Nationalen Versorgungsleitlinie zur medikamentösen Therapie des Typ-2-Diabetes immer noch ganz oben angesiedelt ist.“
Können neue Antidiabetika das Tumorwachstum hemmen?
Die Frage, wie sich SGLT2-Hemmer, GLP-RA oder die neuen GLP/GIP-Analoga auf das Krebsrisiko auswirken, lässt sich noch nicht beantworten. „Aber es gibt derzeit keinen Hinweis darauf, dass unter dieser Medikation Tumorerkrankungen generell häufiger würden.“ Im Gegenteil sei es denkbar, dass die neuen Antidiabetika als glukosesenkende Substanzen das Tumorwachstum hemmen.
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