Prävention Krebsrisikofaktor Diabetes
Die Weltgesundheitsorganisation warnt vor einer globalen Diabetesepidemie: Seit 1980 haben sich die Erkrankungszahlen weltweit nahezu vervierfacht, berichtet Professor Dr. Hans Scherübl von der Inneren Medizin am Vivantes-Klinikum am Urban in Berlin. In Deutschland leiden mindestens acht Millionen Menschen an einer Form von Diabetes, Tendenz steigend: Bis 2040 wird mit zwölf Millionen Erkrankten gerechnet.
Hormonelle und metabolische Faktoren fördern Karzinogenese
Dabei ist Typ-2-Diabetes (T2D) ein starker Risikofaktor für eine ganze Reihe von bösartigen Tumoren insbesondere im Bereich von Kolon, Pankreas, Leber, Gallenblase und Gallenwegen, Magen, Ösophagus, Mundhöhle, Brustdrüsen, Endometrium, Ovar, Schilddrüse und Nieren, so Prof. Scherübl. Auch an Leukämien erkranken die Betroffenen häufiger. Die Zuckerstoffwechselstörung trägt dabei in vielerlei Hinsicht zur Entstehung und Proliferation von malignen Tumoren bei. Untersuchungen in vitro und in vivo lassen darauf schließen, dass sowohl hormonelle (Hyperinsulinämie und erhöhte IGF-1-Spiegel*) als auch metabolische (Hyperglykämie) und inflammatorische Faktoren die Karzinogenese fördern.
Dickdarmkrebs steht bei den tumorbedingten Todesursachen in Deutschland auf Platz 2, so der Experte. T2D verdoppelt nicht nur das Erkrankungsrisiko, er verschlechtert zudem die Überlebensprognose erheblich. Zudem erkranken Typ-2-Diabetiker früher als Stoffwechselgesunde an einem Kolonkarzinom. Dies gilt insbesondere bei einer familiären Vorbelastung. Da Tabak- und Alkoholkonsum, Bewegungsmangel und Übergewicht das Krebsrisiko weiter steigern, sollten T2D-Patienten auf die krebspräventive Bedeutung eines diesbezüglich gesunden Lebensstils hingewiesen werden, meint Prof. Scherübl.
Zudem spricht er sich für eine risikoadaptierte und personalisierte Früherkennung aus: Neben der regelmäßigen Teilnahme am Koloskopie-Screening, die den Patienten bereits vor dem 50. Lebensjahr angeboten werden sollte, sieht er zukünftig auch in innovativen Bluttests (Liquid Biopsy, Biomarker, mikrobielle Erbsubstanz, Metabolomics) und Stuhltests (Multitarget-Stuhl-DNA-Tests, fäkale Bakterienmarker) großes Potenzial.
Etwa 6 % der hepatozellulären Karzinome in Deutschland sind auf T2D zurückzuführen, berichtet der Experte. Hier besteht ebenfalls ein synergistisches karzinogenes Zusammenspiel mit weiteren Risikofaktoren wie Adipositas, riskantem Alkoholkonsum oder chronischer Virushepatitis. Risikopatienten sollten daher halbjährlich eine Ultraschalluntersuchung der Leber erhalten. Der T2D erhöht ferner das Mammakarzinomrisiko um 27 %. Die betroffenen Frauen entwickeln häufig aggressivere Tumoren und haben eine deutlich schlechtere Prognose als Stoffwechselgesunde. Sie sollten daher unbedingt am Mammographie-Screening teilnehmen.
Ein langjähriger T2D verdoppelt auch das Risiko für ein Pankreaskarzinom, führt Prof. Scherübl weiter aus. Weitere Risikofaktoren sind auch hier Tabak- und Alkoholkonsum sowie starkes Übergewicht. Hinzu kommen chronische Pankreatitis und eine familiäre Belastung. Wird der Diabetes erst nach dem 50. Lebensjahr festgestellt, liegt die Wahrscheinlichkeit, innerhalb der folgenden drei Jahre an einem Pankreaskarzinom zu erkranken, bei etwa 1 %.
Die Zukunft: Liquid Biopsy und Metabolomics-Analysen
Umgekehrt geht rund einem Viertel aller neu festgestellten Pankreaskarzinome eine Diabetesdiagnose voraus, die nicht länger als vier Jahre zurückliegt. Künftige Screening-Algorithmen müssen den Risikofaktor Diabetes berücksichtigen, fordert Prof. Scherübl daher. Bislang konzentriert sich die Pankreaskarzinomfrüherkennung bei Risikopatienten auf die Bildgebung. Zukünftig werden vermutlich auch hier moderne Diagnostikverfahren wie die Liquid Biopsy, Metabolomics-Analysen, die Bestimmung der mikrobiellen Erbsubstanz sowie Biomarker im Blut, im Pankreas- oder im Duodenalsekret eine wichtige Rolle spielen, meint er.
Generell könnten mehr als 40 % aller Krebserkrankungen verhindert werden, mahnt der Experte. Außer dem T2D, der ebenfalls in den meisten Fällen vermeidbar ist, existiert eine Vielzahl beeinflussbarer Risikofaktoren. Diesbezüglich setzt er auf effektive Gesundheitsberatung, Aufklärung und Vorbeugung: Insbesondere die Kombination von mehreren Risikofaktoren, wie z.B. T2D plus Alkohol/Tabak oder T2D plus Adipositas, müsse unbedingt vermieden werden.
* insulin-like growth factor 1
Quelle: Scherübl H. Dtsch Med Wochenschr 2021; 146: 1218-1225; DOI: 10.1055/a-1529-4521