Von HIV geheilt Die Geschichte eines Patienten aus Deutschland

Autor: Dr. Anna-Lena Krause

Die Heilung wurde durch Stammzellen mit einem Gendefekt möglich: Ihnen fehlt der Rezeptor für HIV. Die Heilung wurde durch Stammzellen mit einem Gendefekt möglich: Ihnen fehlt der Rezeptor für HIV. © pinkeyes – stock.adobe.com

Marc Franke ist einer der wenigen Menschen, deren HIV-Infektion durch eine Stammzelltransplantation geheilt werden konnte. Wie ist das gelungen und wie geht es ihm heute?

Als Marc Franke 2008 die Diagnose „HIV-positiv“ erhielt, war er 39 Jahre alt. Von seinem damaligen Lebenspartner hatte er sich vor Kurzem getrennt. Rückblickend erinnerte er sich, dass dieser öfter über Fieber, Nachtschweiß und Schwäche geklagt hatte. Die Laborwerte ließen damals darauf schließen, dass die Infektion während der letzten drei Monate stattgefunden haben musste.

„Zu dieser Zeit hat man noch nicht gleich nach der Diagnose mit der antiretroviralen Therapie begonnen“, berichtete Franke. Bis zum Behandlungsstart vergingen zweieinhalb Jahre. Drei Monate später wurde er mit einer Pneumonie in die Notaufnahme des Universitätsklinikums Düsseldorf gebracht. 

Nach der Komplettremission kam das Rezidiv

Dort stellte sich heraus, dass er unter einer akuten myeloischen Leukämie (AML) litt. „Mein Arzt sagte mir, dass es sich zwar um eine aggressive Form handelt, aber dass diese mit einer Chemotherapie behandelbar ist“, erinnerte sich der Patient. Nach sechs Zyklen erreichte er eine Komplettremission, allerdings kam es eineinhalb Jahre später zu einem Rezidiv. „Es war klar, dass eine zweite Chemo nicht funktionieren würde“, so Franke. Daher begab sich sein behandelnder Arzt PD Dr. Björn-Erik Ole Jensen auf die Suche nach passenden Stammzellspendern bzw. -spenderinnen.

Das HI-Virus im Körper seines Patienten war CCR5-trop. Es nutzte also den C-C-Motiv-Chemokinrezeptor 5 als Eintrittspforte in Makrophagen und CD4+ T-Zellen, um sich dort zu vermehren. Etwa 1 % der Bevölkerung fehlt dieser Rezeptor aufgrund eines Gendefekts. Marc Franke hatte großes Glück: Unter den fünf passenden potenziellen Stammzellspendern und -spenderinnen gab es genau einmal diese Mutation. Frankes Arzt verfügte damit über eine Therapie, die nicht nur den Blutkrebs, sondern auch über zwei Mechanismen die HIV-Infektion bekämpfen konnte. Die Spenderimmunzellen töten zum einen eventuell noch vorhandene, infizierte Leukozyten des Empfängers und zum anderen haben die Viren keine Zielzellen mehr, in denen sie sich vermehren können.

Am Valentinstag 2013, zwei Jahre nach der Diagnose AML und fünf Jahre nach dem ersten positiven HIV-Test, bekam der Patient seine erste Stammzelltransplantation. Nach einem Rezidiv der AML und vier weiteren Lymphozyteninfusionen wenige Monate später endlich der Erfolg: Die AML war in Remission – und ist es bis heute geblieben. Und die HI-Viren? Danach hatten verschiedene Forschende intensiv gesucht. Marc Franke ließ sich mehrere Biopsien im Magen-Darm-Trakt entnehmen sowie einen Lymphknoten. 

Chronik einer Leidensgeschichte

  • 2008: Diagnose HIV-Infektion
  • 2010: Beginn antiretrovirale Therapie
  • 2011: Diagnose akute myeloische Leukämie (AML); erste Chemotherapie
  • 2012: erstes Rezidiv AML
  • 2/2013: Stammzelltransplantation nach zweiter Chemotherapie
  • 6/2013: zweites Rezidiv AML; vier Donorlymphozyteninfusionen nach dritter Chemotherapie
  • Stand 7/2024: funktionell geheilt von der HIV-Infektion, AML in Remission

Viren(-Fragmente) noch nachweisbar, aber ungefährlich

Das sind die beiden Organsysteme, in denen HI-Viren auch nach jahrelanger antiviraler Therapie ein stabiles Reservoir bilden. Zwar wurden in den Geweben in sehr geringer Frequenz Viren bzw. deren Fragmente gefunden, allerdings konnten diese als nicht funktionell klassifiziert werden. Zudem verschwanden im Laufe der Jahre HIV-spezifische Spender-T-Zellen aus seinem Körper, was die Behandelnden als gutes Zeichen werteten. Marc Franke gilt seitdem als „funktionell geheilt“ – ohne antiretrovirale Therapie.

„HIV-Heilung ist Realität,“ resümierte Dr. Jensen, „aber nur für sehr wenige Betroffene und nur aus der Not heraus“. Denn eine Stammzelltransplantation ist riskant: 10–15 % derer, die sie empfangen, sterben daran. Und auch, wenn sie gelingt, folgt ein langer Leidensweg. „Nach der Chemo musste ich am Tag bis zu 40 Tabletten nehmen“, erzählte Franke. 

Außerdem war aufgrund der Immunsuppression extreme Vorsicht vor Erregern geboten. Damals war er der einzige, der beim Einkaufen einen Mund-Nasen-Schutz trug. „In meinem Wohnort war ich ein Alien.“ Nicht einmal im Ofen zubereitete Tiefkühlpizza war frei von Pathogenen – was der Stammzellempfänger erst im Nachhinein hatte lernen müssen. Nach Rücksprache mit seinem Arzt war Marc Franke einmal in ein Burgerrestaurant gegangen. „Eine Woche später hatte ich eine Hepatitis, die mit Kortison behandelt wurde. Vom Kortison bekam ich Diabetes, weswegen ich Insulin spritzen musste. Das Insulin und die Chemo schwächten meine Knochen, sodass ich nach einer Fraktur eine neue Hüfte brauchte“, so der Patient. 

Funktionelle Heilung durch die Stammzelltransplantation bedeutet keineswegs „Restitutio ad integrum“, betonte Dr. Jensen. Es sei eben nicht alles wie vorher. Zudem bleibe das Stigma „HIV-positiv“, das sein Patient als am schlimmsten empfunden hat.

Frankes längste Phase der Arbeitsunfähigkeit dauerte 3,5 Jahre. Zudem erschweren die Folgen der Chemotherapie und der Stammzelltransplantation auch aktuell noch den Alltag des heute 55-Jährigen. Trockene Augen (als Folge einer Graft-versus-Host-Disease) und Fatigue sind „keine gute Kombination für einen Bürojob“. Franke ist zu 80 % schwerbehindert. Doch er hat zwei potenziell tödliche Krankheiten unter Kontrolle gebracht.

Quelle: Kongressbericht AIDS 2024

aktualisiert am 10.09.2024 um 10.19 Uhr