Post-akute Infektionssyndrome Die richtigen Lehren aus der Pandemie ziehen

DGN 2024 Autor: Friederike Klein

Die von Long und Post COVID bekannten Verläufe können bei anderen Atemwegsinfektionen in ähnlicher Form auftreten. Die von Long und Post COVID bekannten Verläufe können bei anderen Atemwegsinfektionen in ähnlicher Form auftreten. © Thaut Images – stock.adobe.com

Symptome, die lange über die akute Phase von Infektionen hinaus andauern, waren schon vor der COVID-19-Pandemie bekannt. Die intensive Erforschung des Post-COVID-Syndroms hilft jetzt beim Verständnis auch anderer anhaltender Infektionssyndrome.

„Es ist sinnvoll, COVID-19 als Brücke zu nutzen, um auch Licht ins Dunkel bei anderen Infektionen zu bringen“, erklärte Dr. Christiana­ Franke­, Leiterin der neurologischen Post-COVID-19-Sprechstunde am Campus Benjamin Franklin der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Long und Post COVID hätten zwar aktuell nicht mehr eine so große Bedeutung wie während der Pandemie, aber die zeitlichen Dimensionen ließen sich gut auf andere postakute Infektionssyndrome (PAIS) übertragen. Als Kriterium für Long COVID nannte sie über vier Wochen andauernde oder neu auftretende Symptome, für Post COVID werden zwölf Wochen gefordert.

Die von Long und Post COVID bekannten Verläufe können bei anderen Atemwegsinfektionen in ähnlicher Form auftreten. Das belegt u. a. eine Subanalyse der prospektiven populationsbasierten Be­ob­ach­tungs­studie „Covidence UK“ aus dem Vereinigten Königreich. Darin wurden 10.171 Patientinnen und Patienten im Januar und Februar 2021 – noch vor der Verfügbarkeit der ersten Impfung gegen das SARS-CoV-2-Virus – zu ihren Symptomen von Atem­wegs­in­fek­tio­nen befragt. 1.311 hatten bereits eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht, 472 berichteten von einer anderen Atemwegsinfektion in den vier Wochen vor der Befragung, der Rest hatte keine derartigen Infekte.

Es zeigte sich ein sehr ähnlicher Symptomverlauf nach COVID-19 und nach anderen Atemwegsinfektionen: Im Vergleich zu den infektfreien Personen waren insbesondere Gedächtnisprobleme und Konzentrationsschwierigkeiten, muskuloskelettale und Schlafprobleme häufiger. Auch die Lebensqualität auf verschiedenen Skalen war nach COVID-19 und nach anderen Atemwegsinfektionen ähnlich stark beeinträchtigt.

Die Symptomkomplexe Leistungseinbuße und Fatigue, grippeähnliche Symptome und Krankheitsgefühl sowie rheumatologische Symptome treten bei ganz unterschiedlichen Infektionen und Erregern postakut auf, nicht nur bei Atemwegsinfektionen. Neben COVID-19 und Influenza nannte Dr. Franke auch Borrelieninfektion, Dengue, das Chikungunya-Fieber und eine Infektion mit dem West-Nil-Virus. Es gibt aber auch spezifische Langzeitfolgen einzelner Infektionen, beispielsweise okuläre Probleme nach einer Ebola-Infektion, ein Reizdarmsyndrom nach einer Gardia-Infektion oder Anosmie und Ageusie nach COVID-19.

Unabhängig von der Ätiologie eines PAIS ist die Versorgung der Betroffenen eine interdisziplinäre Aufgabe. In Berlin wird derzeit mit Unterstützung des Innovationsfonds eine entsprechende Versorgungsanalyse durchgeführt (PAIS Berlin). Geplant ist anschließend der Aufbau einer strukturierten, sektorenübergreifenden und interdisziplinären Versorgung, berichtete Dr. Franke.

Anlaufstelle für Betroffene mit leichteren Beschwerden soll die Hausarztpraxis sein. Vier Wochen nach durchgemachter Infektion könnten dort Personen mit anhaltenden Beschwerden identifiziert werden. Eine PAIS-Spezialambulanz dagegen kümmert sich in diesem Modell um schwerer Betroffene, beispielsweise bei Verdacht auf eine myalgische Enzephalomyelitis bzw. ein chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) oder bei kardiovaskulären, neurologischen, pulmonalen oder psychosomatischen Folgen einer Infektion.

Dr. Franke berichtete, dass auch eine Therapiestudie für Patientinnen und Patienten geplant ist, deren Symptome nach einer akuten Infektion mehr als ein Jahr anhalten (chronisches PAIS). Darin soll eine kognitive Verhaltenstherapie mit einer PAIS-fokussierten Gruppentherapie verglichen werden.

Quelle: 97. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie