Der erste epileptische Anfall – was nun? Ein sofortiges Handeln verringert die Gefahr von Rezidiven

Autor: Dr. Melanie Söchtig

Mehr als 90 % der Patientinnen und Patienten kommen nach einem epileptischen Anfall in die Notaufnahme. Mehr als 90 % der Patientinnen und Patienten kommen nach einem epileptischen Anfall in die Notaufnahme. © Lahiru - stock.adobe.com (Generiert mit KI)

Epileptische Anfälle zählen zu den häufigsten Notfällen in der Neurologie. Wie man schnell zur richtigen Diagnose kommt, die passende Behandlung einleitet und so die Prognose der Betroffenen verbessert.

Mehr als 90 % der Patientinnen und Patienten kommen nach einem epileptischen Anfall in die Notaufnahme. Idealerweise erfolgt die Abklärung eines vermeintlich ersten epileptischen Anfalls noch vor Ort am gleichen Tag, spätestens aber innerhalb weniger Tage nach dem Ereignis. Wie man dabei am besten vorgeht, hat ein Forschungsteam um Dr. Pia De Stefano vom Universitätsspital Genf in einer Übersichtsarbeit zusammengefasst.

Demnach gilt es zunächst, zwischen einem akut symptomatischen Anfall, der in der Regel innerhalb von sieben Tagen nach einer Schädigung des Zentralnervensystems auftritt, und einem nicht-provozierten Anfall zu unterscheiden. Weiterhin ist es wichtig, abzuklären, ob es sich tatsächlich um einen epileptischen Anfall oder um ein epilepsieähnliches Ereignis gehandelt hat. Erschwerend kommt hinzu, dass Schätzungen zufolge in bis zur Hälfte der Fälle bereits in der Vergangenheit ein Anfall stattgefunden hat, der nicht als solcher erkannt wurde.

Im Rahmen der Anamnese sollten folgende Aspekte berücksichtigt werden:

  • Familiäre und persönliche Krankengeschichte (z. B. Schädel-Hirn-Traumata, Schlaganfälle)
  • Umstände des Anfalls: Trat dieser im Schlaf oder beim Erwachen auf, im Zusammenhang mit der Einnahme von Medikamenten, welche die Krampfschwelle senken können, bei Alkohol- oder Benzodiazepin-Entzug?
  • Beschreibung des Ereignisses durch eine Zeugin oder einen Zeugen, u. a. in Bezug auf Kopfversion, Urinverlust oder Bewegungen der Extremitäten

Hilfreich kann außerdem eine klinische Untersuchung sein, bei der auf motorische und/oder neuropsychologische Defizite, einen seitlichen Zungenbiss, anhaltende Verwirrtheit sowie Auffälligkeiten beim Puls und beim Blutdruck geachtet wird.

Neben der Anamnese, der klinischen Untersuchung, Blutanalysen und gegebenenfalls einer Lumbalpunktion zählen die Elektroenzephalografie und die zerebrale Bildgebung (CT oder MRT) zu den wichtigsten Untersuchungen für die Abklärung. Studien deuten darauf hin, dass in puncto Bildgebung die MRT der CT überlegen ist. Das Autorenteam schlägt daher vor, direkt ein MRT anzufertigen und von einer spezialisierten Neuroradiologin oder einem Neuroradiologen beurteilen zu lassen, damit keine wertvolle Zeit verloren geht. Es sei denn, es besteht der Verdacht auf eine Schädelfraktur oder eine Blutung  – dann muss ein Notfall-CT erfolgen. Wenn bereits die EEG-Untersuchung Anzeichen einer idiopathischen generalisierten Epilepsie zeigt, ist den Forschenden zufolge ebenfalls keine Hirn-MRT erforderlich.

Um einen echten epileptischen Anfall von epilepsieähnlichen Ereignissen zu unterscheiden, müssen manchmal Mitglieder anderer medizinischer Fachrichtungen hinzugezogen werden, etwa aus der Kardiologie. Typische nicht-epileptische Ereignisse, die leicht mit einem epileptischen Anfall verwechselt werden können, sind Synkopen, psychogene Ereignisse, ischämische Schlaganfälle, transitorische ischämische Attacken (TIA), Migräneanfälle sowie verschiedene Symptome im Rahmen metabolischer, vegetativer und kardialer Störungen.

Darüber hinaus wurden in den letzten beiden Jahrzehnten mehrere neue Syndrome beschrieben, die sich mit epileptischen Anfällen präsentieren, aber sich in ihrer Prognose und Behandlung von einer strukturellen oder genetischen Epilepsie unterscheiden. Dazu gehören etwa das posteriore reversible Enzephalopathie-Syndrom (PRES) und die autoimmune limbische Enzephalitis.

Im Falle einer neu diagnostizierten Epilepsie sollte sofort eine Behandlung eingeleitet werden, um das Risiko für Rezidive zu verringern und die Prognose zu verbessern. Bei der Auswahl des Anfallssuppressivums gilt es, Komorbiditäten und mögliche Arzneimittelinteraktionen (z. B. mit onkologischer Behandlung oder Antikoagulation) zu berücksichtigen.
Knapp die Hälfte (46 %) der Patientinnen und Patienten sprechen bei guter Compliance auf das erste Medikament an. Ein Nichtansprechen auf zwei Medikamente im Sinne einer echten Pharmakoresistenz ist – zumindest in den ersten Jahren nach der Diagnose – eher selten. Im Zweifelsfall sollten die Blutspiegel sowie die Diagnose überprüft werden; gegebenenfalls ist eine weitere umfassende stationäre Abklärung angezeigt.

Quelle: De Stefano P et al. Swiss Medical Forum 2024; 24:
1166740574; doi: 10.4414/smf.2024.1166740574