Erwachsene mit angeborenem Herzfehler landen fälschlich beim Hausarzt statt im Zentrum
Mit der strukturierten Versorgung von Erwachsenen mit angeborenem Herzfehler und 17 überregionalen zertifizierten Zentren gehört Deutschland zwar weltweit zur Spitzenklasse. Allerdings kommt das bei Weitem nicht allen betroffenen Patienten zugute. Derzeit leben hierzulande mindestens 250 000 Erwachsene mit angeborenem Herzfehler, gut 200 000 von ihnen haben bisher keinen Zugang zu dieser spezialisierten Versorgung bekommen, erklärte Professor Dr. Harald Kaemmerer, Deutsches Herzzentrum München.
Bei den meisten findet keine kontinuierliche spezialisierte kardiologische Nachsorge mehr statt, wenn sie der Betreuung durch den Kinderkardiologen entwachsen sind. Der Großteil wird heute von Hausärzten behandelt. Wie eine Befragung zeigte, ist dabei den wenigsten bekannt, dass es zertifizierte Zentren gibt. Diese Situation muss unbedingt verbessert werden, forderte Prof. Kaemmerer. Denn je älter die Patienten werden, desto mehr erkrankungsbedingte Probleme sind zu erwarten.
Jeder zweite Patient über 50 hat atriale Arrhythmien
Typisch ist ein Mix aus bradykarden und tachykarden Arrhythmien auf der Basis verschiedener Faktoren wie akzessorische Leitungsbahnen, Myokardnarben und Fibrose, erklärte Dr. Joachim Hebe, Elektrophysiologie Bremen. Berechnungen zufolge entwickeln etwa 50 % der Patienten über 50 Jahre atriale Arrhythmien, und das Risiko für ventrikuläre Arrhythmien ist im Vergleich zu Patienten ohne angeborene Herzfehler 100-fach erhöht. Je älter die Kranken werden, desto größer die Gefahr.
Frequenzwechsel schränken medikamentöse Therapie ein
Nach Fontan-Operationen, die zur Korrektur von Einventrikel-Herzfehlern vorgenommen werden, treten bei 50–75 % der Patienten Vorhoftachykardien auf. Auch die Mustard-Operation wegen Transposition der großen Gefäße oder die operative Korrektur der Fallot-Tetralogie haben häufig diese Rhythmusstörung zur Folge. In diesen Fällen besteht auch ein hohes Risiko des Übergangs in eine 1:1-Überleitung mit Entwicklung von Kammertachykardie bzw. -flimmern. Durch das Nebeneinander von Tachy- und Bradyarrhythmien ist die medikamentöse antiarrhythmische Therapie limitiert. Als Therapie der ersten Wahl gilt die Katheterablation mit einer primären Erfolgsquote von 80 %.
Primär ventrikuläre Tachykardien sind deutlich seltener. Maximal 10 % der Herzfehler-Patienten erleiden anhaltende Kammertachykardien bzw. einen plötzlichen Herztod. Therapie der Wahl bei jenen, die einen Herzstillstand wegen Kammerflimmern überlebt haben oder die eine hämodynamisch instabile ventrikuläre Tachykardie aufweisen, ist der implantierte Kardioverter-Defibrillator.
Die Herzinsuffizienz präsentiert sich bei erwachsenen Patienten mit angeborenen Herzfehlern unterschiedlich, je nachdem, ob man es nach der Operation mit einem univentrikulären Herz, einem rechten Ventrikel als Hauptkammer oder einem linken Ventrikel zu tun hat, wie Privatdozent Dr. Oktay Tutarel, Deutsches Herzzentrum München, ausführte. Mangels Daten erfolgt die medikamentöse Therapie eminenzbasiert und individuell, aber nur sofern klinische Symptome bestehen. Auf keinen Fall dürfe aber die mangelnde Evidenz zu therapeutischem Nihilismus führen.
Geringere Chancen bei der Herztransplantation
Interventionelle Kardiologie bietet immer mehr Optionen
Manche der erwachsenen Patienten mit angeborenem Herzfehler brauchen erneute Eingriffe, um Funktionsprobleme zu beheben. Für sie bietet die interventionelle Kardiologie immer mehr Möglichkeiten, sodass man eine offene OP vermeiden kann, betonte Professor Dr. Felix Berger, Deutsches Herzzentrum Berlin. Als Beispiel nannte der Kollege unter anderem den interventionellen Verschluss eines Vorhof- bzw. Ventrikelseptumdefekts mit einem fenestrierten Device. Dies wird dann nötig, wenn sich bei zunehmendem Links-Rechts-Shunt eine Herzinsuffizienz entwickelt hat. Univentrikuläre Herzen entwickeln im Laufe der Zeit sicher eine Insuffizienz. Sie profitieren von der Dekompressionstherapie durch Anlage einer Fenestration.Quelle: 84. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie