Soziale Ungleichheit Es braucht qualitativ hochwertige Studien mit Schilddrüsenkrebs-Patienten aus Ländern mit unterschiedlich hohen Einkommen
In den letzten fünf bis zehn Jahren hat sich in der Diagnostik und Therapie des Schilddrüsenkarzinoms eine Menge getan. Die Möglichkeiten der Schilddrüsensonografie führten allerdings vielfach zu Überdiagnosen, während die Mortalitätsraten weitgehend konstant geblieben sind, schreibt ein Autorenteam um Dr. Debbie Chen, Metabolism, Endocrinology & Diabetes Clinic, University of Michigan.
Um der Überdiagnostik und der dadurch bedingten unnötigen Behandlung von Patienten mit Low-Risk-Karzinomen zu begegnen, wurden international verschiedene Systeme zur ultraschallbasierten Risikostratifizierung von Schilddrüsenknoten entwickelt. Ihnen allen ist die Empfehlung gemein, dass bei Knötchen unter 1 cm generell keine Biopsie erfolgen soll, schreiben Dr. Chen und Kollegen.
Mehr Möglichkeiten in fortgeschrittenen Stadien
Darüber hinaus werden derzeit nicht-chirurgische Optionen wie die aktive Überwachung der Patienten sowie verschiedene minimal-invasive Ablationsverfahren erprobt. Bei einigen Gruppen zeigen diese Maßnahmen als Alternative zur Operation vielversprechende Ergebnisse. Auch die Betreuung von Menschen mit fortgeschrittenem Schilddrüsenkarzinom, denen man früher eine supportive Behandlung angeboten hätte, hat sich in den vergangenen Jahren angesichts präzisionsonkologischer, molekularer zielgerichteter Therapieoptionen stark verändert.
Wie Bildung und Einkommen die Therapie beeinflussen
In vielen Ländern hängt die Betreuung von Patienten mit Schilddrüsenkrebs von sozialen Faktoren ab, berichten Dr. Chen und Kollegen. Die WHO definiere diese sozialen Determinanten als „die Bedingungen, unter denen Menschen geboren werden, aufwachsen, arbeiten, leben und altern sowie weitere Faktoren und Systeme, welche die Bedingungen des täglichen Lebens formen.“
Untersuchungen aus verschiedenen Ländern weltweit haben gezeigt, dass der ökonomische Status, Wohnort und Nachbarschaft, Schul- und Ausbildungsabschluss sowie der Zugang zu Bildung zur Ungleichbehandlung bei Schilddrüsenkrebs beitragen. Als Beispiel nennen die Autoren die USA: Dort werden papilläre Schilddrüsenkarzinome bei Privatversicherten in einem früheren Stadium diagnostiziert als bei Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status ohne Krankenversicherung.
Angesichts der neuen Möglichkeiten ist es aber dringend geboten, das Problem der Behandlungsgerechtigkeit anzugehen, mahnen die Autoren. Jeder Mensch, bei dem ein Schilddrüsenkarzinom diagnostiziert wird, muss die Chance auf eine hochwertige Krebsbehandlung haben, schreiben sie. Das habe unabhängig von der Herkunft, der Ethnie und des sozioökonomischen Status des Patienten zu geschehen und ungeachtet seiner Fähigkeit, sich in der jeweiligen Landessprache verständigen zu können. Es müssen deutlich größere Anstrengungen unternommen werden, um den diagnostischen und therapeutischen Fortschritt auch in die weniger entwickelten Länder und zu ärmeren oder benachteiligten Menschen zu bringen, fordern die Experten.
Ihrer Ansicht nach sollten qualitativ hochwertige bevölkerungsbasierte Studien und groß angelegte randomisierte klinische Studien zu effektiven Managementstrategien künftig auf den Schweregrad der Erkrankung abgestimmt werden. Zudem müsste man Patienten aus Ländern mit niedrigem, mittlerem und hohem Einkommen gleichermaßen einschließen. Im Ergebnis würde dies zu einer besseren Übereinstimmung künftiger Praxisleitlinien mit den Verhältnissen auch in Ländern mit mittlerem oder niedrigem Einkommen führen.
Quelle: Chen DW et al. Lancet 2023; 401: 1531-1544; DOI: 10.1016/S0140-6736(23)00020-X