Kultursensitive Patientenversorgung „Es ist ungerecht, nicht das Individuum zu sehen“
Man würde nie auf die Idee kommen, alle Patient*innen ohne Migrationshintergrund als eine homogene Gruppe zu betrachten, so Dr. Petra Jung, Fachärztin für Allgemeinmedizin in Ebringen. „Ich sehe da die Frau Meier mit all ihren familiären Zerwürfnissen. Und ich sehe da den Herrn Müller mit seiner Krankengeschichte.“ Genauso müsse es auch bei Menschen mit Migrationsgeschichte sein. Am wichtigsten ist es, jeden Menschen als Individuum zu sehen, so die Kollegin, „und das Kulturelle einfach mal völlig wegzulassen“.
Denn wenn man in Bezug auf sich selbst darüber nachdenkt, was einen ausmacht, so käme vermutlich nicht als Erstes die Aussage „Ich bin Deutsche“, so Dr. Jung – sondern vielleicht „Ich bin Ärztin, ich bin Mutter, ich bin dies, ich bin das“. Wenn man sich aber mit dem Thema Migration und Gesundheit befasst, stößt man sehr häufig auf Stereotypen, so die Kollegin.
Dabei wird in Untersuchungen wie der Sinus-Studie immer wieder gezeigt, dass es auch innerhalb migrantischer Milieus eine ganze Reihe an unterschiedlichen Subgruppen gibt – genau wie in nicht-migrantischen Milieus. Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte innerhalb einer ähnlichen Subgruppe haben wahrscheinlich sehr viel mehr Gemeinsamkeiten als Menschen aus verschiedenen Subgruppen, deren einzige Gemeinsamkeit die Migrationsgeschichte ist, erklärte Dr. Jung. „Wenn da jetzt jemand ist in meiner Lebenssituation – zwischen 30 und 45, Mutter usw. – dann habe ich wahrscheinlich viel, viel mehr Parallelen mit dieser Person als mit dem 80-jährigen Herrn Müller, der hier in meinem Winzerdorf mit seiner Frau seinen Garten pflegt.“ Und genau solche Parallelen und Gemeinsamkeiten sind eine gute Basis für eine gute Arzt-Patienten-Beziehung – unabhängig vom kulturellen Background des Gegenübers.
Gibt es allerdings sprachliche Barrieren, so können diese das Miteinander zwischen Arzt und Patient stark beeinträchtigen. „Wenn die Sprachbarriere nicht zu überwinden ist, kann man eigentlich nicht anständig ärztlich mit den Menschen kommunizieren, weil man schon seiner Aufklärungspflicht nicht nachkommen kann“, so Dr. Jung. In Deutschland gebe es keine Ausbildung für Medizin-Dolmetscher, die in irgendeiner Weise geschützt oder vereinheitlicht ist. Und überhaupt einen geeigneten Dolmetscher zu finden, sei für eine normale Praxis enorm schwierig.
Mehr über unsere Gesprächspartnerin
Schon in jungen Jahren zog es Dr. Petra Jung hinaus in die Welt. Sie besuchte eine internationale Schule in Norwegen, später lebte sie u.a. in Mexiko und Uruguay. „Ich habe wenig Kontakt zu Migranten und Migrantinnen in meiner Kindheit gehabt, weil ich zunächst in der DDR und dann später in Mecklenburg-Vorpommern aufgewachsen bin“, sagt sie. Nach ihren Auslandsaufenthalten befasste sie sich intensiver mit dem Thema Migration. Sie schrieb ihre Doktorarbeit über Kinder und Jugendliche in Flüchtlingsaufnahmen in Mecklenburg-Vorpommern, arbeitete in der Landeserstaufnahmestelle in Freiburg. Sie ist Mitarbeiterin des Instituts für Allgemeinmedizin an der Universität Freiburg und arbeitet dort u.a. zu Migration, Gender und Diskriminierung. Ihre Hausarztpraxis befindet sich in Ebringen bei Freiburg.
Übersetzungshilfen haben ihre Grenzen
Mit Online-Übersetzungsprogrammen wie Google Translate oder DeepL kommt man oft schon recht weit, so die Kollegin. Aber: „Man muss sich, glaube ich, bewusst sein, dass die ihre Schwächen haben und dass da auch wiederum Fehler passieren, die natürlich im medizinischen Bereich auch eine gewisse Tragik haben können“, räumt sie ein. Häufig läuft es dann darauf hinaus, dass eine Person aus dem Angehörigenkreis des Patienten beim Dolmetschen hilft. Doch auch das birgt eine Vielzahl von Problemen und Fallstricken, wie Dr. Jung erklärte. Insbesondere wenn Kinder und Jugendliche als Dolmetschhilfen herangezogen werden, sollte man als Arzt versuchen, andere Wege zu finden. „Ich würde alle Kolleg*innen bitten, sich dessen bewusst zu sein (...) und zu sagen: ‚Ich möchte eigentlich nicht, dass Ihr Kind das macht. Überlegen Sie sich, ob es nicht doch jemand anders gibt‘“, so die Ärztin. Das gilt aus ihrer Sicht insbesondere für Fälle, in denen es um schwierige und vor allem psychische Aspekte geht.
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Quelle: Medical-Tribune-Bericht
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