Schmerzen hinter der Demenz erkennen Fremdbeobachtung und eine neue Skala helfen bei der Beurteilung

Autor: Dr. Dorothea Ranft

Jeder vierte Demenzkranke kann trotz gezielter Nachfragen Schmerzen nicht mehr richtig angeben. Jeder vierte Demenzkranke kann trotz gezielter Nachfragen Schmerzen nicht mehr richtig angeben. © anatoliycherkas - stock.adobe.com

Viele Demenzkranke haben Schmerzen. Man schätzt, dass etwas mehr als die Hälfte von ihnen eine adäquate analgetische Therapie bräuchte. Doch die bekommen Betroffene viel zu selten. Hauptgrund: Sie können ihr Leid nicht mehr mitteilen. Umso wichtiger ist es für ihr Umfeld, Anzeichen dafür zu erkennen. 

Jeder vierte Demenzkranke kann trotz gezielter Nachfragen Schmerzen nicht mehr richtig angeben. Zudem ist die Fähigkeit, das Symptom mit einfachen Skalen einzuschätzen, bereits früh im Krankheitsverlauf reduziert. Dennoch sollte man nicht völlig auf die Angaben der Betroffenen verzichten. Deren Brauchbarkeit hängt auch vom Schweregrad ab: Im Mini-Mental-Status-Test (MMST) wird für einen zuverlässigen Schmerzbericht eine Punktzahl von ≥ 18 angenommen.  

Am besten stützt man sich schon im Frühstadium auf einfache Skalen, empfiehlt das Team um Prof. Dr. phil. Miriam­ Kunz­ von der Medizinischen Fakultät der Universität Augsburg. Empfohlen werden Instrumente, die den Schmerz anhand von Kategorien wie keiner, leichter, mäßiger etc. einstufen. Alternativ kommen numerische Ratingskalen in Betracht. Sie erfassen die Intensität mittels Ziffern von 0 bis 10.

Auf visuelle Analogskalen (VAS) sollte man verzichten, denn die Zuordnung einer subjektiven Empfindung wie Schmerz mit einer Linienlänge stellt zu hohe kognitive Ansprüche. Instrumente mit Gesichtsausdrücken wie die Faces-Pain-Scale sind beliebt – zu Unrecht. Denn Demenzkranke haben oft Probleme mit dem mimischen Emotionserkennen.

Bei ausgeprägter Demenz auf Ja/Nein-Fragen setzen

Mit zunehmendem Schweregrad der neurodegenerativen Erkrankung verliert die Selbsteinschätzung immer mehr an Zuverlässigkeit. Die Autorengruppe rät, dann das Vorhandensein von Schmerzen nur noch mit Ja/Nein-Fragen zu ermitteln. Unterhalb von zehn Punkten im MMST sind valide Angaben wahrscheinlich nicht mehr möglich. Dass Betroffene nicht mehr über Schmerzen klagen, heißt nicht, dass sie keine hätten.

Bei Personen mit mittelschwerer bis schwerer kognitiver Einschränkung muss daher der Selbstbericht durch andere Methoden ergänzt oder ersetzt werden. Dazu eignen sich kurze Fremdbeobachtungsskalen, die das Vorliegen von Schmerzen und bis zu einem gewissen Grad auch deren Intensität erfassen können. Hierfür müssen vor allem drei Bereiche evaluiert werden: Mimik, Lautäußerungen und Körperbewegung bzw. -haltung.

In den vergangenen Jahren wurde eine Vielzahl derartiger Instrumente entwickelt. Am weitesten verbreitet ist hierzulande die auch auf Deutsch validierte BESD*-Skala. Sie erfasst neben den genannten drei Kategorien noch Atmung und Reaktion auf Trost. Für jede Domäne wird ein Wert zwischen 0 (keine Verhaltensreaktion) bis 2 (stärkste Reaktion) ermittelt. Eine Punktzahl ≥ 2 von maximal zehn spricht für mögliche Schmerzen.

Als neueste Entwicklung hat ein internationales Forschungsteam untersucht, welche Elemente der vorhandenen Skalen tatsächlich valide Schmerzindikatoren darstellen. Die 15 besten Items fasste man in der PAIC15**-Skala zusammen. Für jedes gibt es wiederum einen Score von 0 (keine Reaktion) bis 3 (starke Reaktion).

Die Symptome sollten während einer jeweils dreiminütigen Beobachtungszeit sowohl in Ruhe als auch bei körperlicher Aktivität erfasst werden. Außerdem wurde ergänzend ein dreißigminütiges E-Training mit Videobeispielen erstellt, um die Verlässlichkeit zu erhöhen. Der Test ist inzwischen in neun Sprachen übersetzt. Bei PAIC15-Testwerten > 3 scheint ersten Untersuchungen zufolge z . B . ein Schmerz „wahrscheinlich“, bei Werten > 5 geht man von „leichten“ Schmerzen aus.  
Zahlreiche Studien ergaben, dass bestimmte Kombinationen von mimischen Reaktionen nur bei Schmerzen auftreten. Dazu gehören: 

  • Zusammenziehen der Augen-
    brauen
  • Kontraktion der Muskulatur um die Augen herum
  • Anheben der Oberlippe
  • Öffnen des Mundes
    Nach diesem Prinzip arbeiten auch Ansätze zur (halb-)automatischen Erkennung von Schmerzen. Sie sind aber noch nicht für den klinischen Einsatz geeignet.


*   Beurteilung von Schmerz bei Demenz
** Pain Assessment in Impaired Cognition

Quelle: Kunz M et al. Schmerzmedizin 2024; 40: 18-25; doi: 10.1007/s00940-024-4855-8