Diabetes und psychische Erkrankungen Gemeinsame Risikofaktoren führen zu neuen Ansatzpunkten für die Therapie
Professorin Dr. Martina de Zwaan von der Medizinischen Hochschule Hannover empfiehlt für Menschen mit Diabetes mellitus ein regelmäßiges Screening für häufige psychische Erkrankungen. „Die Komorbidität zwischen psychischen Erkrankungen wie Depression, Angst- und Essstörungen und Diabetes mellitus vom Typ 1 und 2 ist hoch“, erklärte Prof. de Zwaan. Eine Studie, die auf der Auswertung der umfangreichen nationalen dänischen Patientenregister basiert,1 stellt einen bidirektionalen Zusammenhang zwischen Typ-2-Diabetes und vielen psychischen sowie einigen neurologischen Erkrankungen fest. Somit scheint es gemeinsame Risikofaktoren wie Umweltbedingungen oder genetische Faktoren sowohl für Stoffwechsel- als auch psychischen Erkrankungen zu geben. Diese Erkenntnis bietet Ansatzpunkte für neue Therapiemöglichkeiten.
Besonderes Augenmerk auf frühe Programmierung
Ein besonderes Augenmerk legt die Leiterin der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie auf die Bedeutung früher Kindheitstraumata und die frühe Programmierung von Krankheit und Gesundheit. Aus gutem Grund: „Stressreiche oder traumatische Erlebnisse in der Kindheit gehören zu den wichtigsten Risikofaktoren für die Entwicklung eines ganzen Spektrums psychischer und körperlicher Erkrankungen im Erwachsenenalter.“ Dabei kann die Art des Traumas oder Stresses sehr unterschiedlich sein. Sexuelle, körperliche oder seelische Gewalt, Verlust von Bezugspersonen sind schwerwiegende Erlebnisse für Kinder mit hoher Prävalenz in unserer Gesellschaft. „Man geht davon aus, dass der chronische Stress, der mit solchen frühen Traumata assoziiert ist, die Entwicklung des Gehirns und anderer physiologischer Systeme dauerhaft beeinflusst.“
In einer aktuellen Metaanalyse2 wurde der Zusammenhang zwischen Anzahl und Art der Kindheitstraumata und der Entstehung von Diabetes mellitus vom Typ 1, Typ 2 sowie Gestationsdiabetes untersucht. Aus den inkludierten 49 Beobachtungsstudien mit insgesamt über 3,2 Millionen Studienteilnehmer*innen ging hervor, dass das Risiko für die Entwicklung eines Diabetes mit der Anzahl der Kindheitstraumata stieg. Die stärksten Zusammenhänge fanden sich für Vernachlässigung und sexuellen Missbrauch.
In einer deutschen Untersuchung, die auf fast 3.000 Datensätzen der KORA-F4 und den SHIP-3-Kohorten beruhte,3 wurde eine erhöhte kumulative Inzidenz von Typ-2-Diabetes vor allem bei Personen festgestellt, die als Kind emotional missbraucht worden waren. Eine Depression wurde als Mediator für diesen Zusammenhang identifiziert. Im Gegensatz dazu waren in einer weiteren repräsentativen deutschen Bevölkerungsstudie mit rund 5.000 Teilnehmer*innen4 alle erhobenen Traumatypen mit Diabetes assoziiert, wobei dysfunktionale Persönlichkeitsmerkmale als bedeutender Mediator festgestellt wurden. Durch eine Frage aus dem Auditorium, ob es Daten für die Entwicklung von Diabetes infolge kindlicher Kriegstraumata im Nachkriegsdeutschland gebe, wurde klar, dass noch erheblicher Forschungsbedarf besteht. „Entsprechende Studien gibt es nur für psychische Erkrankungen“, sagte de Zwaan.
Gruppentherapie-Sitzungen bringen Erfolge
Da sich die Zusammenhänge zwischen frühen „biologischen Narben“ und Langzeitfolgen für Psyche und Körper auch für Menschen mit Diabetes immer deutlicher belegen lassen, lohnt der Fokus auf psychosoziale Interventionen. Z.B. kann die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) über eine Verbesserung depressiver Symptome hinaus zu einem positiven Einfluss auf die Stoffwechseleinstellung führen. In den letzten Jahren sind entsprechend der „dritten Welle der Verhaltenstherapie“ neue Elemente bei dieser Therapieform hinzugekommen. Dazu gehören Methoden wie Mindfulness-based Stress Reduction (MBSR), die dialektisch-behaviorale Therapie (DBT), die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) oder die Compassion-focussed Therapie (CFT). Der gemeinsame Nenner dieser neuen Ansätze liege im stärkeren Fokus auf der Emotionsregulation und teilweise in der Akzeptanz negativer Gedanken und Gefühle anstelle des Versuchs, diese zu ändern, erläuterte de Zwaan. Auch die webbasierte Vermittlung sei inzwischen etabliert. Insgesamt scheinen Gruppenformate reinen Einzelformen überlegen zu sein.
Eine sehr umfangreiche Metaanalyse mit 32 randomisierten, kontrollierten Studien zu psychosozialen Interventionen bei Diabetes (Typ 1 und 2)5 konnte eine KVT im klinisch relevanten Ausmaß physiologische Parameter (HbA1c, Nüchternblutzucker, diastolischer Blutdruck) und psychologische Parameter (Depression, Angst, Schlafqualität) verbessern. Auch mittelfristig, nach rund 30 Wochen, blieben Behandlungserfolge beim HbA1c, beim diastolischen Blutdruck und hinsichtlich der Depression erhalten.
Allerdings war die Heterogenität der Studien teilweise hoch und die Effektstärken waren gering bis moderat. Auch diese Metaanalyse bekräftigte den Vorteil von Gruppentherapiesitzungen sowie einer Sitzungsdauer von mindestens 50 Minuten. Die Expertin betonte, wie wichtig es sei, Therapieziele gemeinsam mit Patient*innen zu definieren, denn prinzipielle Ziele psychosozialer Interventionen können sehr unterschiedlich sein. Neben der Verbesserung der psychischen Gesundheit kann die Verbesserung der Stoffwechseleinstellung, anderer physiologischer Parameter und der Lebensqualität angestrebt werden.
Pleiotropes Medikament erlebt Revival
„In den ‚Psycho-Fächern‘ entdecken wir gerade Metformin“, leitete Prof. de Zwaan zum Thema Antidepressiva über. Eine antidepressive Medikation könne zwar bei schlecht eingestelltem Typ-2-Diabetes und gleichzeitiger Depression die Stoffwechseleinstellung verbessern.7 Andererseits können jedoch fast alle modernen Antidepressiva wie selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) oder Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) langfristig zu einer Gewichtszunahme führen. Eine Metaanalyse von 2021 (32 Studien, mehr als 2,8 Millionen Studienteilnehmer*innen)8 bestätigte sogar ein erhöhtes Risiko für die Inzidenz von Typ-2-Diabetes bei länger dauernder Einnahme.
Wie wirkt Metformin bei Depressionen?
Umso interessanter sind die Ergebnisse dänischer Registerstudien zum Einsatz von Metformin im Hinblick auf depressive Symptome:9 Die adjustierten Daten zeigten, dass die längerfristige Einnahme von Metformin unter Real-Life-Bedingungen die Inzidenz depressiver Störungen reduzieren konnte. Eine australische Kohortenstudie10 mit 704 Frauen über 16,6 Jahre zeigte ebenfalls, dass die Wahrscheinlichkeit, eine Depression zu entwickeln, unter Metformin deutlich reduziert war.
Insgesamt ist die Studienlage zu Metformin zwar noch nicht konklusiv, aber es existieren nun deutliche Hinweise, dass Metformin das Risiko für das Auftreten einer Depression senken kann. „Metformin werden antiinflammatorische, antioxidative, antiapoptotische und neuroprotektive Wirkungen zugeschrieben“, resümierte de Zwaan.11 Ob Metformin auch eine positive Wirkung auf bereits bestehende depressive Symptome bei Komorbidität mit Typ-2-Diabetes hat, muss ebenso wie der Wirkmechanismus noch geklärt werden.
Diabetes Update 2023
Literatur:
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