Stuhlinkontinenz Gezielt nach dem Stuhl fragen

Autor: Dr. Dorothea Ranft

Gute Ergebnisse erzielt man seit einigen Jahren mit der sakralen Neuromodulation. Gute Ergebnisse erzielt man seit einigen Jahren mit der sakralen Neuromodulation. © Andrey Popov – stock.adobe.com

Stuhlinkontinenz ist immer noch ein Tabu. Viele Betroffene kontaktieren ihren Arzt erst, wenn sich die Symptome nicht mehr verdrängen lassen. Eine unnötige Qual, denn von der Ernährungsumstellung über Medikamente bis hin zur Physiotherapie für den Darm gibt es wirksame Therapiemöglichkeiten.

Als inkontinent gilt ein Patient, der seit mindestens einem Monat an permanent oder rezidivierend unkontrolliertem Stuhlabgang leidet. Dabei ist zwischen der passiven Form (unkon­trollierter, unbemerkter Verlust) und der Drang-inkontinenz mit verkürzter Vorwarnzeit zu differenzieren, schreiben Dr. Alex Furtwängler vom Evangelischen Diakoniekrankenhaus und Dr. Bernhard Strittmatter­ von der Gemeinschaftspraxis für Koloproktologie in Freiburg.

Da die Patienten häufig nicht von selbst auf ihr Problem zu sprechen kommen, sollte man die Inkontinenz gezielt erfragen. Wichtig ist eine detaillierte Anamnese der Beschwerden einschließlich potenziell störender Medikamente. Außerdem muss man neurodegenerative Erkrankungen (z.B. Demenz) und gastrointestinale Störungen (M. Crohn etc.) ausschließen. Bei Frauen sind gynäkologische Ursachen (Beckenbodensenkung, Z.n. Episiotomie oder Dammriss) zu eruieren.

Nötig sind Rekto-, Prokto- und ggf. Ileoskopie

Mit der Inspektion der Analregion lassen sich proktologische Erkrankungen erkennen (klaffender Anus, Prolaps, Fisteln, Dermatosen). Die rektal-digitale Untersuchung ermöglicht es, Sphinkterfunktion und Beckenboden einzuschätzen. Zum Ausschluss weiterer Pathologien ist eine Rekto- und Proktoskopie obligat, eine Ileokoloskopie wird empfohlen.

Ziel der Therapie ist eine verbesserte Kontrolle der Stuhlentleerung. Der Betroffene sollte wissen, dass eine vollständige Wiederherstellung der Kontinenz in der Regel nicht erreichbar ist, aber jede Verbesserung der Symptomatik die Lebensqualität steigert. Sofern möglich, erfolgt eine spezifische Behandlung des Grundleidens bzw. einzelner Auslöser. Bei mangelnder Wirkung orientiert sich die Therapie an den Symptomen. In leichten Fällen sorgen schon Containment-Hilfen wie Analtampons und Vorlagen für mehr Sicherheit. Adipöse Patienten profitieren von einer Gewichtsreduktion, auf Rauchen sollte verzichtet werden.

Blähende Nahrungsmittel, propulsive Inhaltsstoffe (Koffein, Alkohol) und starke Gewürze sind zu meiden. Stattdessen sollten Betroffene Speisen bevorzugen, die den Chymus eindicken. Dazu gehören z.B. weißmehlhaltiges Brot, Kartoffeln, Bananen und Kakao. Auch eine Supplementierung mit Apfelpektin kann sinnvoll sein. Quellmittel wie Plantago ovata wirken oft erst in höherer Dosierung wasserbindend und müssen – im Gegensatz zu ihrem Einsatz bei Obstipation – ohne zusätzliche Flüssigkeitsaufnahme eingesetzt werden.

Auch eine medikamentöse Inhibierung der Darmmotilität kann die Inkontinenz lindern. Loperamid verlangsamt die Passage durch seine Wirkung an den intes-tinalen µ-Rezeptoren ohne relevanten zentralen Opioid-effekt. Einen vergleichbaren Einfluss hat die Opiumtinktur, die auch als Fertigpräparat erhältlich ist. Ihre Verordnung unterliegt aber dem Betäubungsmittelgesetz. Vor allem nach Cholezyst­ektomie oder Ileumresektion ist ein Therapieversuch mit Colestyramin sinnvoll, um die laxierende Wirkung der Gallensäuren zu neutralisieren.

Verhaltenstraining

Viele Patienten leiden vormittags an einer Belastungs- oder Dranginkontinenz, die das sofortige Aufsuchen einer Toilette erfordert. Sie sollten deshalb sicherheitshalber die spontane Entleerung des distalen Kolons zu Hause abwarten und Termine eher später einplanen.

Defäkation über Irrigation oder Suppositorien triggern

Bei einer verminderten Wahrnehmung der Ampulla recti (Multiple Sklerose, Querschnittlähmung etc.) können regelmäßige, vom Betroffenen getriggerte Defäkationen die Inkontinenz lindern. Dazu eignen sich anale Irrigation und Suppositorien. Natriumhydrogencarbonat und -phosphat führen über die Freisetzung von CO2 und einem erhöhten rektalen Druck zu einer Stuhlentleerung. Bisacodyl-Zäpfchen wirken prokinetisch und fördern die Sekretion. Klysmen kommen wegen der Gefahr einer Traumatisierung (bis hin zur Perforation) nur für Patienten mit unauffälliger Rektoskopie in Betracht. Deutlich effektiver sind retrograde Irrigationssysteme, bei denen ein geblockter Ballon den vorzeitigen Verlust der Spülflüssigkeit verhindert. Allerdings sind auch hier Kontraindikationen wie Prolaps und Kolonstenose bzw. Zustand nach Kolonresektion zu beachten.

Begleitend zu Kostumstellung und medikamentöser Therapie wird bei der Stuhlinkontinenz auch eine spezielle Physiotherapie empfohlen. Sie soll Wahrnehmung, Koordination und Muskelkraft verbessern und so die Kontrolle der Defäkation erleichtern. Eingesetzt werden vor allem zwei Konzepte, die auch miteinander kombiniert werden können:

  • Bei der passiven Elektrostimulation wird niederfrequenter Strom über eine Analsonde appliziert. Dadurch kommt es zu einer Kontraktion der Beckenbodenmuskulatur einschließlich des M. sphincter ani mit anschließender Hypertrophie und verbesserter rektaler Wahrnehmung für Darminhalt. Erlernte Übungen sollen mehrmals täglich zu Hause durchgeführt werden.
  • Bei der Biofeedback-Therapie wird die Intensität der aktiven und willkürlichen Anspannung der Kontinenzmuskeln dem Patienten durch akustische oder visuelle Signale rückgemeldet. Konsequentes Training verbessert Koordination und Kontraktionskraft bzw. -dauer.

Invasive und operative Therapieansätze spielen bei der anorektalen Inkontinenz nur eine untergeordnete Rolle. Mit einer Schließmuskelaugmentation lassen sich kaum dauerhafte Verbesserungen erzielen. Die Radiofrequenzablation kann den M. sphincter ani internus durch eine Fibrose tonisieren, bisher wurden aber nur kurzfristige Resultate dokumentiert­.

Gute Ergebnisse erzielt man dagegen seit einigen Jahren mit der sakralen Neuromodulation (SNM). Dabei wird die funktionelle Reservekapazität der muskulären Komponenten durch elektrische Impulse an den afferenten Nerven ausgeschöpft. Ziel dieser Therapie ist eine Verbesserung der Symptome um 50 %. Als Ultima Ratio kommt die Anlage eines Anus praeter in Betracht, dessen Versorgung die Patienten meist leicht erlernen­.

Quelle: Furtwängler A, Strittmatter B. Dtsch Med Wochenschr 2022; 147: 907-914; DOI: 10.1055/a-1677-7678