Fehldiagnose Hämorrhoiden – bei Blut im Stuhl immer koloskopieren
Frisches Blut im Stuhl hatte der 30-Jährige beklagt, begleitet von wechselnder Stuhlfrequenz mit Verstopfung und Durchfall. Der Hausarzt hatte eine Rektoskopie durchgeführt, dabei aber keine Auffälligkeiten der Darmschleimhaut gesehen. Mit der Diagnose Hämorrhoiden und dem Rat, sich ballaststoffreich zu ernähren, wurde er nach Hause geschickt, das berichtete jedenfalls der Patient später der Hamburger Schlichtungsstelle. Sein Arzt behauptete hingegen, er habe ihn darüber aufgeklärt, dass eine anale Blutung immer auch durch eine Koloskopie abgeklärt werden sollte. Der Betroffene selbst konnte sich weder daran erinnern noch hatte er eine Überweisung erhalten.
Fall als Beispiel für einen sogenannten Anscheinsbeweis
Zwei Monate nach diesem Besuch ging der Patient zu einem anderen Hausarzt. Die Ernährungsumstellung war erfolglos geblieben, darüber hinaus hatte er seitdem zwölf Kilo abgenommen und klagte nun zusätzlich über starke Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule. Der Kollege überwies den jungen Mann zum Proktologen. Wenige Wochen später stand die Diagnose fest: Hinter den Symptomen steckte ein stenosierender Tumor am rektosigmoidalen Übergang, der bereits die Umgebung infiltriert und in der Leber zahlreiche Metastasen abgesiedelt hatte. Der Patient wurde stationär aufgenommen, operiert und erhielt palliativ eine Chemotherapie. Eineinhalb Jahre später war er tot.
Ein „irgendwie geartetes Verschulden an diesem Schicksal“ sah der Arzt nicht ein. Schließlich habe die von ihm sofort durchgeführte Rektoskopie keinen Hinweis auf tumoröse Veränderungen ergeben. Die Schlichter sahen dies anders. Zum einen hätte der Beklagte einen solchen Tumor im oberen Rektumdrittel bei standardgerechter Rektoskopie bereits Ende Oktober erkennen müssen, bemängeln sie. Zum anderen wurde im Oktober keine Koloskopie veranlasst. Die folgenden Blutabgänge, Schmerzen, körperliche Schwäche und Gewichtsverlust seien deshalb als fehlerbedingt anzusehen.
Der Fall, schreiben die Autoren um den Chirurgen Dr. Manfred Giensch von der Schlichtungsstelle Hamburg, sei ein Beispiel für einen sogenannten Anscheinsbeweis. Sie konnten nur aus dem Tatbestand „Umfang des Karzinoms Mitte Januar“ schließen, dass man den Tumor bereits im Oktober hätte erkennen müssen. Sie gingen deshalb im Rahmen des Beweises des ersten Anscheins davon aus, dass der Kollege das Karzinom fehlerhaft übersehen hatte. Der Arzt könnte seinen Kopf nur mit dem Beweis aus der Schlinge ziehen, dass das Karzinom möglicherweise noch nicht erkennbar war. Dazu war der Mediziner aber aufgrund seiner unzureichenden Dokumentation nicht in der Lage, die die Schlichter ebenfalls beklagten. So fehlten z.B. Angaben zum äußeren Inspektionsbefund, ob eine Enddarmentleerung durchgeführt und wie hoch rektoskopiert wurde.
Quelle: Giensch M et al. Hamburger Ärztebl 2020; 74: 30-31