Ayahuasca Göttertrank oder Modeerscheinung?
Ayahuasca ist ein psychedelisch wirkender Pflanzensud, der aus der Tradition indigener Völker im Amazonasbecken stammt. Schon länger gibt es Hinweise darauf, dass die Substanz bei Depressionen stimmungsaufhellend wirken kann. Forschende aus Brasilien nahmen jetzt in einem Review diese und eventuelle weitere therapeutische Vorteile des bitteren Tees bei verschiedenen psychiatrischen, neurologischen und körperlichen Erkrankungen unter die Lupe.
Ayahuasca besteht meistens aus Bestandteilen der Rebe Banisteriopsis caapi und dem Strauch Psychotria viridis. Letzterer enthält in seinen Blättern ein Alkaloid (Dimethyltryptamin, DMT), dessen chemische Struktur mit Serotonin verwandt ist. Wirkstoffe der Rebe sind Carboline. Diese wirken hemmend auf das Enzym Monoaminoxidase-A und verhindern so die Inaktivierung von DMT im Verdauungstrakt, wodurch es länger Zeit hat, seine psychotrope Wirkung zu entfalten. Der Konsum von Ayahuasca kann Veränderungen in Wahrnehmung und Kognition sowie tiefgreifende emotionale und spirituelle Erfahrungen auslösen. Die akute Wirkung umfasst vier bis sechs Stunden. Übelkeit, Erbrechen und andere gastrointestinale Symptome sind häufige Nebenwirkungen.
Die Forschenden um Dr. Lucas Maia, Landesuniversität von Campinas, schlossen in ihr narratives Review Studien ein, die vor Mai 2022 erschienen waren. Zu vielen psychiatrischen Fragestellungen liegen in Bezug auf Ayahuasca allerdings nur vorläufige Ergebnisse vor, teilweise mit kleiner Stichprobengröße, ohne längere Nachbeobachtungszeit und häufig in naturalistischen Kontexten wie spirituellen Gruppenevents erfasst.
Für Ayahuasca-Konsum bei Depressionen gibt es bislang die stärkste Evidenz. In einer randomisierten, placebokontrollierten Studie erlebten beispielsweise 29 Patienten mit behandlungsresistenter Depression nach einmaliger Einnahme des Pflanzensuds eine deutliche Verbesserung. Die Nachbeobachtungszeit betrug allerdings nur sieben Tage. In zwei weiteren Studien mit insgesamt 23 Patienten, die an rezidivierenden Depressionen litten, reduzierte eine Dosis Ayahuasca die Symptome bis zu 21 Tage lang. Des Weiteren gibt es Online-Befragungen unter Anwendern der Droge. In einer davon mit 1.571 depressiven Personen berichteten 78 % von einem Rückgang der Symptome.
Auch bei Substanzgebrauchsstörungen deuten die zusammengetragenen Veröffentlichungen einen Nutzen an. Besonders für Alkoholkonsum zeigen sich in Beobachtungsstudien geringere Probleme nach Ayahuasca-Erfahrungen bzw. ein verminderter Konsum von Nutzern vs. Nichtnutzern. Auch zwei aktuelle, 2022 veröffentlichte Online-Umfragen unter Ayahuasca-Konsumenten zeigten einen Zusammenhang mit weniger Alkohol- und Drogenabusus. Viele Teilnehmer berichteten davon, nach der Einnahme des Psychedelikums mit dem Rauchen oder Trinken aufgehört zu haben – insbesondere, wenn sie während ihres Trips ein spirituelles Erlebnis hatten.
Nach Auswertung der vorliegenden Studien zu Trauer, Essstörungen, Posttraumatischer Belastungsstörung sowie Persönlichkeitsstörungen zeigt sich für alle eine gewisse positive Evidenz, die den Autoren zufolge allerdings noch als sehr vorläufig einzustufen ist. Beobachtungsstudien, Einzelberichte sowie klinische Erfahrungen deuten zwar einen positiven Nutzen an, dieser muss aber noch strenger und qualitativ hochwertiger geprüft werden. Hinweise gibt es ebenfalls auf antidepressive und angstlösende Wirkungen bei Krebs und anderen schweren körperlichen Erkrankungen; auch hier fehlen jedoch bislang randomisierte, kontrollierte Studien.
Die Evidenz zu neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson und Alzheimer stufen die Autoren als begrenzt ein. In Bezug auf Angststörungen zeigen sich eher gemischte Ergebnisse.
Wie sieht es mit nachteiligen Auswirkungen für Langzeitkonsumierende aus? Die Forscher verweisen auf epidemiologische Studien, die darauf hindeuten, dass die langfristige Einnahme von Ayahuasca nicht mit psychischen und körperlichen Beeinträchtigungen verbunden ist. Sie räumen jedoch ein, dass die Ergebnisse verzerrt sein können, etwa durch den Einfluss religiöser oder ritueller Kontexte. In Einzelfällen ist von der Auslösung von Psychosen durch den Konsum berichtet worden. Zu einer kontrollierten Verabreichung gehört daher auch die Frage nach psychotischen Vorerkrankungen beim Patienten und dessen Familie. Der gleichzeitige Gebrauch anderer Drogen erhöht offenbar ebenfalls das Risiko für unerwünschte Wirkungen.
Weitere, insbesondere randomisiert-kontrollierte Studien seien notwendig, um die vielen Hinweise auf den positiven Nutzen von Ayahuasca als Therapeutikum zu stützen, lautet das Fazit der Autoren. Außerdem müssten die der therapeutischen Wirkung zugrunde liegenden Mechanismen noch genauer untersucht werden – all dies auch vor dem Hintergrund der WHO-Forderung, traditionelle Medizin verstärkt in öffentliche Gesundheitssysteme zu integrieren.
Quelle: Maia LO et al. Eur Neuropsychopharmacol 2022; 66: 45-61; doi: 10.1016/j.euroneuro.2022.10.008