
Einen Tic zu groß Hirntumor-OP ließ Zwinkeranfälle verschwinden

Alle paar Tage Blinzelanfälle des rechten Auges: So äußerte sich die Tic-Störung eines Jungen. Wenn das Kind vor einem Bildschirm saß, verschlimmerten sich die Symptome. Die Eltern suchten zwar ärztlichen Rat. Weil die Anfälle aber als habituell gewertet wurden, erfolgten keine diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen. Nach etwa einem halben Jahr kam ein Tic der rechten Mundhälfte dazu. Die Eltern suchten daher die Abteilung für pädiatrische Neurologie im Guizhou Provincial People’s Hospital in Guiyang auf, wie ein Team um Yun Chen von der dortigen Klinik schreibt. Die Anfälle von Auge und Mund ließen sich nicht willkürlich unterdrücken, zeigten sich nie im Schlaf und traten nicht immer synchron auf. Das Routinelabor ergab Normalwerte. Das EEG deckte keine Krampfaktivitäten auf.
Etwa murmelgroßen Tumor aus dem Thalamus entfernt
Weil die Tics sich kaum durch bestimmte Sensationen ankündigten und streng einseitig blieben, wollte das Ärzteteam nach sekundären Ursachen suchen. Tatsächlich fand sich in der Hirn-MRT ein hyperintenser Bezirk von 15 x 18 x 19 mm im linken Thalamus. Die neuropathologische Analyse ergab eine Mischung aus Nerven- und Gliagewebe, wie sie typischerweise bei einem Gangliogliom auftritt. Daraufhin wurde der Tumor chirurgisch entfernt, was den Jungen von der Tic-Störung befreite. Allerdings zeigten sich nach dem Eingriff Wortfindungs- und Gedächtnisstörungen. Letztere waren nach vier Monaten verschwunden, die Sprache blieb aber verlangsamt.
Die meisten Tics bestehen aus kurzen, ruckartigen Bewegungen im Bereich von Gesicht, Nacken, Schultern oder Stamm. Bei den idiopathischen Tics unterscheidet man transiente und chronische Tics sowie das Tourette-Syndrom. Komorbiditäten wie ADHS, Zwangs- oder Angststörungen sowie Lernprobleme und selbstverletzendes Verhalten kommen häufig vor. Bei dem beschriebenen Patienten fanden sich keine dieser Erkrankungen.
Neuroanatomische und pathophysiologische Mechanismen sind noch nicht vollständig erforscht. Man nimmt aber an, dass ein gestörter kortiko-striato-thalamo-kortikaler Regelkreis und Ungleichgewichte von Neurotransmittern eine Rolle spielen. Auslöser für eine solche Dysfunktion könnten genetische Faktoren, aber auch z. B. Infektionskrankheiten, Medikamente oder Umweltgifte sein. Dass ein Tumor zu einem Tic führt, kommt äußerst selten vor, schreibt das Autorenteam aus China. Bisher sind nur sechs derartige Fälle bekannt. Der Thalamus scheint eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Tic-Störungen zu spielen, mutmaßen die Forschenden, obwohl es bei den meisten Thalamusläsionen nicht zu Tics kommt. Eine MRT wird bei Tic-Störungen nicht routinemäßig durchgeführt. Das Autorenteam rät aber bei atypischen Symptomen dazu. Dazu zählen fehlende Vorboten, einseitiges Auftreten, neue neurologische Symptome nach dem Sistieren des Tics, neurokutane Stigmata und eine Verschlechterung neuropsychiatrischer Symptome.
Quelle: Chen Y et al. Neurology 2024; 103: e210101; doi: 10.1212/WNL.0000000000210101