Östrogene Hormonmangel stresst Gelenke und Muskeln
Frauen leiden häufiger an muskuloskelettalen Schmerzen und Arthrose als Männer. Zudem ist die Inzidenz für ossäre und artikuläre Veränderungen bei älteren Frauen höher als bei Männer gleichen Alters. Schon lange wird vermutet, dass diese Unterschiede zumindest teilweise auf die Geschlechtshormone zurückzuführen sind. Denn deren Wirkung geht weit über das Geschlechtsleben und die Fortpflanzung hinaus: Sie beeinflussen sowohl das Immunsystem als auch Stoffwechsel, Nerven, Knochen und Muskeln, schreiben Malvika Gulati von der Universität Oxford und Kollegen.
So steigt bei Frauen offenbar nicht nur das Risiko für Rückenschmerzen ab den Wechseljahren. Epidemiologische Studien zeigten auch Assoziationen zwischen der Menopause und dem vermehrten Auftreten von Gelenkschmerzen und Arthrose auf. Günstig wirkt sich vor allem eine lange fertile Zeit aus, betonen die britischen Wissenschaftler in ihrem Review. In einer großen Studie benötigten beispielsweise Frauen, die 33 bis 39 Jahren lang fruchtbar waren, im Vergleich zu denjenigen mit einer fertilen Spanne unter 30 Jahren seltener einen Kniegelenkersatz (Hazard Ratio, HR 0,87).
HRT bessert Arthralgien in der Postmenopause
Der Einfluss der Östrogene auf Muskel, Knochen und Gelenke lässt sich am Beispiel der Hormonersatztherapie (HRT) zeigen. In einer randomisierten kontrollierten Studie mit mehr als 16.000 gesunden postmenopausalen Teilnehmerinnen litten vor der HRT 20–25 % an Gelenkschmerzen, die mit zunehmendem Alter stärker wurden. Diese Symptome besserten sich unter der hormonellen Behandlung stärker als in der Placebogruppe. Einen wichtigen Einfluss hatte auch die Art der zugeführten Hormone. In der WHI-Studie brauchten Frauen, die nur Östrogene anwandten, seltener einen arthrosebedingten Knie- oder Hüftgelenkersatz als Leidensgenossinnen, die Östrogen und Gestagen kombinierten. Männer mit chronischen Schmerzen können ebenfalls von einer Hormontherapie profitieren. Bei einem opioid-induzierten Androgendefizit lindert eine Testosterongabe die Hyperalgesie.
Wichtige Einblicke in die Hormonwirkung geben chirurgisch oder medikamentös bedingte Mangelzustände. Nach einer bilateralen Oophorektomie etwa leiden die betroffenen Frauen häufiger an einer Gonarthrose oder einer entsprechenden Veränderung des ersten Karpometakarpalgelenks. Ein weiteres bekanntes Beispiel ist die Behandlung mit Aromatasehemmern beim hormonsensitiven Mammakarzinom. Diese Wirkstoffe inhibieren die Umwandlung von Androgenen in Östrogene und verringern so die bei den zumeist postmenopausalen Patientinnen ohnehin schon erniedrigten Spiegel. Zu den häufigen Nebenwirkungen zählen Hitzewallungen sowie Gelenk- und Muskelschmerzen. Wegen Letzteren setzt etwa ein Viertel der Frauen die Medikation wieder ab, obwohl diese die Prognose verbessern.
Aufgrund der vorliegenden Daten sehen die Autoren starke Indizien dafür, dass zwischen den lebenslang wechselnden Sexualhormonspiegeln und der Anfälligkeit für Gelenkdegeneration und Schmerz ein Zusammenhang besteht. Eine kausale Beziehung zwischen Östrogenwerten und Arthrose konnte bisher jedoch nicht belegt werden.
Bei Gelenkschmerzen nach Menopause fragen
Wegen der großen Bedeutung der Hormone für die Gelenkgesundheit sollten Frauen gezielt nach menopausalen Beschwerden gefragt werden und Männer nach Zeichen für eine Andropause. Eine exogene Hormontherapie kommt allerdings nur im Rahmen der aktuellen Zulassung in Betracht.
Quelle: Gulati M et al. Lancet Rheumatol 2023; 5: e225-e238; DOI: 10.1016/S2665-9913(23)00060-7