Hyperoxie durch Sauerstofftherapie gefährdet Intensivpatienten
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Fehlt es dem Körper an Sauerstoff, stellt er die Energiegewinnung auf anaerobe Glykolyse um. Hält die Hypoxie an, entwickelt sich eine Laktatazidose, und hypoxieempfindliche Zellen, wie die des Gehirns, werden nekrotisch. Durch externe Gabe von Sauerstoff lässt sich eine Hypoxie behandeln, doch Privatdozent Dr. Jörn Grensemann von der Klinik für Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und seine Kollegen mahnen zum Augenmaß.
Wie applizieren?
Über eine Nasensonde gelangen bis zu 15 l/min Sauerstoff in den Körper, damit lässt sich die inspiratorische Sauerstofffraktion (FiO2) je nach Atemminutenvolumen auf 25–45 % anheben. Über eine Gesichtsmaske schafft man 55 %, mit einer Gesichtsmaske plus Reservoirbeutel 80–95 %.
Braucht ein spontan atmender Patient noch mehr, hilft eine High-Flow-Sauerstofftherapie. Denn nur wenn der O2-Fluss höher ist als der Inspirationsfluss des Patienten, atmet er keine Umgebungsluft mit ein. Für diese Form der Behandlung muss jedoch die Atemluft extern erwärmt und angefeuchtet werden.
Heimbeatmungsgeräte lassen sich auf den Anteil von Sauerstoff in Litern pro Minute einstellen. Die FiO2 ergibt sich dann aus Sauerstofffluss und Atemminutenvolumen. Bei Intensivbeatmungsgeräten dagegen kann man die FiO2 frei wählen.
Hyperoxie erhöht die Mortalität kritisch Kranker
Intensivpatienten wurden früher häufig hyperoxisch beatmet nach der Devise „viel hilft viel“. Inzwischen weiß man es besser. Denn eine Hyperoxie erhöht die Mortalität kritisch Kranker, wie vielfach nachgewiesen wurde. Dies erscheint plausibel, wenn man bedenkt, dass das Hämoglobin schon bei einem Sauerstoffpartialdruck (pO2) von 80 mmHg zu 96 % mit Sauerstoff gesättigt ist. Wenn man den pO2 weiter steigert, kann kaum weiterer Sauerstoff gebunden und transportiert werden, sondern der Anteil physikalisch gelösten freien Sauerstoffs steigt. Das führt dazu, dass sich vermehrt freie Radikale bilden, die eine Zellschädigung nach sich ziehen. Leitliniengemäß sollten bei beatmeten Intensivpatienten deshalb ein Sauerstoffpartialdruck zwischen 60 und 80 mmHg und eine Sauerstoffsättigung (SO2) von 90–94 % angestrebt werden. Auch Patienten mit Myokardinfarkt tut eine Hyperoxie nicht gut. Es erscheint zwar auf den ersten Blick erstrebenswert, dem hypoxischen Gewebe im Infarktbereich mehr Sauerstoff zur Verfügung zu stellen. Leider wird damit aber das Infarktareal eher vergrößert, vor allem weil freie Radikale noch mehr Herzmuskelzellen zerstören und weil Sauerstoff Koronararterien verengt. Eine zusätzliche Gabe sollte deshalb unterbleiben, solange die periphere Sättigung ≥ 90 % liegt. Beim ischämischen Schlaganfall wurde ebenfalls eine hyperbare Oxygenierung versucht in der Vorstellung, den physikalisch gelösten Sauerstoffanteil zu erhöhen und die Penumbra perfusionsunabhängig mit O2 zu versorgen. Das neurologische Outcome ließ sich damit jedoch nicht verbessern. Heute empfiehlt man für Patienten mit ischämischem Insult eine SO2 zwischen 94 % und 98 %. COPD-Patienten brauchen zwar O2 gegen ihre Hyperkapnie, die zur Erschöpfung der Atemmuskulatur geführt hat. Aber auch bei ihnen gilt: Nicht zu liberal dosieren! Sauerstoff unterdrückt die hypoxische Vasokonstriktion, die notwendig ist, um ein optimales Verhältnis zwischen Ventilation und Perfusion zu erhalten. Ohne diesen Schutzmechanismus bekommen mehr der suboptimal ventilierten Alveolen Anschluss an die Perfusion, sodass die Hyperkapnie zunimmt. Nach der GOLD-Empfehlung wird Sauerstoff bei der akut exazerbierten COPD so dosiert, dass die Sättigung zwischen 88 % und 92 % bleibt. Im Rahmen der Reanimation steigert eine Beatmung mit reinem Sauerstoff zu Beginn die Chancen, den Spontankreislauf wieder in Gang zu bekommen. Danach sollte die Beatmung jedoch zügig wieder auf Normoxie zurückgehen, unter Hyperoxie scheint retrospektiven Analysen zufolge die Mortalität zu steigen.Brennende Sauerstoffflasche nie mit Wasser löschen!
Sauerstoff ist ein Brandbeschleuniger. Will man ihn aus Flaschenzylindern entnehmen, schließt man zunächst den Durchflussregler des eingebauten Druckminderers. Dann öffnet man das Ventil so, dass es nicht auf Personen gerichtet ist, und erst danach den Durchflussregler. Durch dieses Vorgehen lässt sich vermeiden, dass Sauerstoff nach dem Öffnen des Ventils sofort strömt. Denn das könnte zur Folge haben, dass sich Partikelverunreinigungen in der Flasche entzünden und den Druckminderer in Brand setzen. Um den Anstieg der Temperatur im Druckminderer zu bremsen, sollte man das Ventil langsam öffnen.
Sauerstoffflaschen, insbesondere die Anschlussgewinde, müssen unbedingt frei bleiben von Ölen oder Fetten, wie sie z.B. in Handcremes enthalten sind. Solche organischen Rückstände können leicht in Brand geraten. Wenn es tatsächlich zu einem Brand kommt, der durch ausströmenden Sauerstoff unterhalten wird, heißt es sofort die Zufuhr unterbrechen, bei Wandanschlüssen durch Betätigen der Notabsperrung, bei Flaschen theoretisch durch Schließen des Ventils. Letzteres gelingt allerdings durch die hohen Temperaturen meist gar nicht mehr. Dann gilt es, Personen in Sicherheit zu bringen und die Feuerwehr zu alarmieren.
Niemals darf man versuchen, einen solchen Metallbrand mit Wasser zu löschen. Denn Wasser wird bei hohen Temperaturen in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten und es kann zu einer Knallgasreaktion kommen, durch die sich der Brand weiter ausbreitet.
Kohlenmonoxid vom Hämoglobin vertreiben
Die Kohlenmonoxid-Intoxikation bleibt das einzige Krankheitsbild, bei dem eine Hyperoxie unabdingbar ist. Schließlich muss man den Sauerstoffpartialdruck so erhöhen, dass sich Kohlenmonoxid trotz seiner im Vergleich zu Sauerstoff vielfach höheren Affinität zu Hämoglobin wieder aus der Hämoglobinbindung vertreiben lässt.Quelle: Grensemann J et al. Dtsch Med Wochenschr 2021; 146: 108-120; DOI: 10.1055/a-0948-8363