Langzeit-Sauerstofftherapie Neue Leitlinie erntet jede Menge Kritik
Der in Leverkusen niedergelassene Pneumologe Norbert Mülleneisen findet kaum ein gutes Haar an der neuen Leitlinie.1 Sie sei zwar besser als die alte, habe aber gravierende Schwächen – nicht zuletzt, weil unter den 21 Autoren nur ein niedergelassener Kassenarzt saß. Der Kollege gab zu bedenken, dass bei der Sauerstoffverordnung erhebliche Unterschiede zwischen Krankenhaus und ambulantem Sektor bestehen: „Was glauben Sie, wer in der Regel Sauerstoff verordnet?“ In den meisten Fällen sind es nicht einmal niedergelassene Pneumologen, sondern Hausärzte.
Zum Lindern von Luftnot ist die Therapie nicht geeignet
Das führt zu Missverständnissen, beginnend damit, dass Patienten aber auch Hausärzte und Kardiologen sich von der Langzeitsauerstofftherapie (LTOT) eine Linderung der Luftnot versprechen, wozu sie nachweislich nicht geeignet ist. Alle Studien, die zeigen sollten, dass O₂ die Ruhedyspnoe bessert, sind negativ ausgegangen. Das steht übrigens auch in der Leitlinie: Mittel der Wahl gegen Atemnot sind Opioide.
Ein grundsätzliches Problem der neuen wie der alten Leitlinie liegt darin, dass sie sich auf dieselben uralten Studien stützen: MRC und NOTT wurden beide in den 1970er-Jahren durchgeführt, die Ergebnisse 1980 und 1981 veröffentlicht. „Ich behaupte mal ganz frech, die pharmakologische und nicht-pharmakologische Therapie z.B. der COPD sind seither sehr viel besser geworden“, meinte Mülleneisen. Er bezweifelt, dass Patienten, die heutzutage pneumologisch gut versorgt und behandelt sind, noch den gleichen Nutzen aus der Sauerstofftherapie ziehen wie damals.
Die Ärzte im Krankenhaus sollten übrigens die Finger von der LTOT lassen, findet der Pneumologe. Eine Einstellung auf die O₂-Langzeitgabe sei nur in einer stabilen Krankheitsphase möglich, was aber unter stationären Bedingungen nicht gegeben sei: „Eigentlich dürfte ein Krankenhaus keine LTOT einleiten – es wird aber gemacht, um den Patienten schneller entlassen zu können.“ Gemäß der Leitlinie sollen nach der Entlassung symptomatische Patienten mit Dyspnoe und einer Ruhesättigung unter 92 % eine postakute Sauerstofftherapie erhalten, deren Indikation nach sechs, spätestens zwölf Wochen zu prüfen ist.
Die Leitlinie sieht die Indikation zur LTOT als gegeben an, „wenn nach Ausschöpfung anderer adäquater Therapieformen eine chronische Hypoxämie noch immer nachweisbar ist“. Das setzt zwei Blutgasanalysen voraus, die während einer stabilen Krankheitsphase im Abstand von drei Wochen angefertigt werden. Dass die arterielle zuverlässigere Werte liefert als die kapilläre BGA, bestreitet niemand. Aber: Die arterielle Punktion muss vom Arzt vorgenommen werden, während die kapilläre BGA der Helferin übertragen werden kann. Wenn, wie in der Leitlinie gefordert, zwei arterielle BGA innerhalb von drei bis sechs Wochen erfolgen sollen, um die Indikation zur LTOT zu stellen, ist das im pneumologischen Praxisalltag mit 1.100 Patienten pro Quartal schlicht nicht zu stemmen, sagte Mülleneisen.
Alternativ geht auch die symptomatische Indikation, bei der zu prüfen ist, ob Sauerstoff die körperliche Belastbarkeit steigert und die Symptome reduziert. In der Praxis ist der geforderte Sechs-Minuten-Gehtest mangels räumlicher Gegebenheiten kaum zu leisten. Selbst wenn der Flur lang genug ist: „Das macht kein Niedergelassener – er wäre bescheuert, wenn er es täte, weil es sich wirtschaftlich nicht rechnet“, so Mülleneisen.
Quelle:
1. S2k-Leitlinie zur Langzeit-Sauerstofftherapie, AWMF-Register-Nr. 020-002, www.awmf.org
Kongressbericht: 61. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (Online-Veranstaltung)