Immer erschöpft? Wachsam sein bei müden Patienten und keine Pseudodiagnosen stellen
Rund 30 % der Hausarztpatienten geben eine „stark“ oder „sehr stark“ ausgeprägte Müdigkeit an – Frauen häufiger als Männer. Allerdings ist die Müdigkeit nur bei einem Teil von ihnen der Hauptgrund für den Arztbesuch. Geht es um Patienten mit unerklärter, über mindestens einen Monat anhaltender Müdigkeit, wird die Prävalenz in Deutschland mit ca. 11 % angegeben.
Hinter dem Symptom Müdigkeit können die unterschiedlichsten psychischen, organischen und sozialen Störungen stecken. Bei den meisten Patienten lassen sich diese Aspekte nicht sinnvoll voneinander trennen. Sie sollten deshalb integriert behandelt werden, fordern die Leitlinienautoren unter Federführung von Professor Dr. Erika Baum, Universität Marburg.
In der Diagnostik immer biopsychosozial denken
Wie umfangreich sollte die hausärztliche Diagnostik sein? Die Leitlinie rät dazu, in der Anamnese Charakteristika des Symptoms „Müdigkeit“ und assoziierte Beschwerden zu erfassen. Auch die Beeinträchtigung im Alltag und die Vorstellungen des Patienten zu den Ursachen seiner Müdigkeit gilt es zu eruieren, ebenso Symptome von Angst und Depression.
Bei primär ungeklärter Müdigkeit sollten außerdem erfragt werden:
- Vorerkrankungen,
- Schlaf, Verlauf des Körpergewichts, Tabakkonsum,
- kardiale, respiratorische, gastrointestinale, urogenitale und ZNS-Funktion,
- Medikamente, psychotrope Substanzen,
- soziale, familiäre, berufliche Situation,
- chemische oder Lärmbelästigung,
- ähnliche Symptome im privaten/beruflichen Umfeld,
- Schnarchen, Einschlafen am Steuer und
- (habitueller) Schlafmangel.
Die körperliche Untersuchung richtet sich nach den Hinweisen in der Anamnese. Wenn keine Anzeichen für körperliche Störungen vorliegen, sollten untersucht werden:
- Herz, Puls und Blutdruck,
- Atemwege, Schleimhäute,
- Abdomen,
- Lymphregionen sowie
- Muskeltrophik, -kraft, -tonus und -eigenreflexe.
Auch die Labordiagnostik orientiert sich an Auffälligkeiten in der Anamnese und körperlichen Untersuchung. Wenn es keine Zeichen einer definierten körperlichen Störung gibt, sollten lediglich folgende Parameter untersucht werden: Blutglukose, Blutbild, Blutsenkung/CRP, Transaminasen oder γ-GT sowie TSH.
Im gesamten diagnostischen Ablauf soll ein biopsychosozialer Ansatz eingehalten werden. Demgemäß sind meist mehrere Erklärungen für die Müdigkeit anzunehmen und zu behandeln, betonen die Kollegen. Bei ungeklärter Müdigkeit oder Hinweisen auf relevante psychosoziale Belastungen sollten dem Patienten feste Folgetermine angeboten werden. Die Behandlung körperlicher Erkrankungen, etwa einer Herzinsuffizienz, soll optimiert werden.
Was Ärzte oft falsch machen
Raucherentwöhnung und ggf. Verhaltenstherapie anbieten
Bei einem Substanzabusus (wie Tabakabhängigkeit) sollte eine Entwöhnungsbehandlung angeboten werden. Im Übrigen weisen die Autoren darauf hin, dass bei vielen zugrundeliegenden Störungen eine Verhaltenstherapie oder symptomorientierte aktivierende Maßnahmen die Müdigkeit lindern und das Allgemeinbefinden bessern können. Sie sollten deshalb ausdrücklich empfohlen werden.* Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin
Quelle: S3-Leitlinie „Müdigkeit“, AWMF-Register-Nr. 053-002, www.awmf.org