Active Surveillance Insbesondere ältere Prostatakrebspatienten profitieren
Beim Prostatakarzinom wird immer häufiger die Strategie des aktiven Überwachens gewählt. Welchem Patienten nützt dieses Behandlungskonzept aber tatsächlich? Und wem schadet es eher?
Wird ein Prostatakarzinom mittels Strahlentherapie oder Operation angegangen, drohen den Betroffenen erektile Dysfunktion und Inkontinenz – Folgen, die man vor allem Männern mit Niedrigrisiko-Tumoren möglichst ersparen möchte. Eine Gruppe von Wissenschaftlern um Dr. Eugenio Ventimiglia vom Krankenhaus San Raffaele in Mailand hat nun anhand einer Computersimulation untersucht, in welchen Situationen die Active Surveillance eine geeignete Alternative darstellt. Bei dieser Strategie wird der Patient engmaschig kontrolliert. Erst wenn es Anzeichen dafür gibt, dass der Krebs fortschreitet, schwenkt man um auf eine kurative Behandlung.
Aktuell liegen noch keine Langzeitdaten vor
In Schweden gehen die Ärzte immer öfter diesen Weg. So wurden im Jahr 2019 von den Männern mit Niedrigrisiko-Prostatakrebs 86 % primär aktiv überwacht. Da das Prinzip der Aktive Surveillance noch relativ jung ist, gibt es allerdings bisher nur wenig Daten zum Outcome, die über einen zeitlichen Horizont von 15 Jahren hinausgehen. Belastbare Informationen wären aber sehr wichtig, da die Patienten perspektivisch immer länger leben und somit das Risiko, an einem Prostatakarzinom zu sterben, möglicherweise über Jahrzehnte bestehen bleibt, schreiben Dr. Ventimiglia und Kollegen.
Um das Langzeitoutcome der aktiv überwachten Krebspatienten zu ermitteln, haben die schwedischen Wissenschaftler ein Simulationsmodell entwickelt. Es fußt auf den Daten eines schwedischen Registers, der Prostate Cancer data Base Sweden. Berücksichtigt wurden die Aufzeichnungen von 23.655 Patienten im Alter von 40 bis 75 Jahren, die zwischen 1992 und 2014 die Diagnose Prostatakarzinom mit sehr niederigem bis intermediärem Risiko erhalten hatten.
16.177 Männer waren aktiv überwacht worden, bei 7.478 hatte die Strategie des Watchful Waiting Anwendung gefunden. Hierbei handelt es sich um ein Konzept, bei dem nicht in kurativer Absicht eingegriffen wird. Stattdessen erfolgt eine Intervention erst, wenn Komplikationen auftreten – dann allerdings meist in Form einer palliativen Therapie. Frühere Studien haben allerdings gezeigt, dass bei diesem Vorgehen ein krankheitsbedingtes Mortalitätsrisiko auch 30 Jahre nach der Diagnose eines Niedrigrisiko-Prostatakarzinoms noch besteht.
Von der aktiven Überwachung profitieren den Berechnungen zufolge über 65-jährige Patienten mit Niedrigrisiko-Tumoren. Diese Männer dürfen, so zeigt es die Simulation, dann noch auf etliche therapiefreie Jahre bei niedrigem tumorbedingtem Sterberisiko hoffen. Bereits heute ist die Active Surveillance für genau diese Patientengruppe empfohlen, erinnern Dr. Ventimiglia und Kollegen.
Bei den unter 65-jährigen Männern hingegen scheint das Konzept der Active Surveillance nur dann Vorteile zu bringen, wenn das Progressionsrisiko des Tumors sehr gering ist. Und gar keinen Nutzen dürfte das aktive Überwachen jenen Männern unter 60 Jahren bringen, bei denen ein Prostatakarzinom mit mittlerem Risiko diagnostiziert worden ist. Für sie wäre die Wahrscheinlichkeit, aufgrund des Tumors zu sterben, hoch, der Zugewinn an Lebenszeit ohne eine umgehende aktive Behandlung hingegen gering.
Quelle: Ventimiglia E et al. JAMA Netw Open 2022; DOI: 10.1001/jamanetworkopen.2022.31015