Jeder zehnte ältere Patient mit Gewichtsverlust hat Krebs
Gewichtsverluste bleiben häufig vom Arzt unbemerkt oder werden falsch eingeschätzt. Schließlich sieht man die verlorenen Pfunde z.B. einem Übergewichtigen nicht so leicht an. Außerdem gilt ein gewisser Abbau der Muskelmasse ab der sechsten Lebensdekade als normal, schreibt ein Forscherteam um Brian D. Nicholson vom Nuffield Department of Primary Care and Health Sciences der University of Oxford. Und schließlich gibt es da noch die üblichen Schwankungen von ± 2 kg im Tagesverlauf – je nach Flüssigkeitskonsum und Mageninhalt.
Zudem kontrollieren Kollegen das Gewicht bisher meist nicht routinemäßig, sondern oft erst, wenn Symptome auftreten. Auch die Differenzierung zwischen Gewicht und BMI kann Verwirrung stiften, so die Erfahrung der Autoren. Zusätzlich zögern Patienten mit Gewichtsverlust den Arztbesuch länger hinaus als bei anderen Beschwerden.
Ursachen für purzelnde Pfunde | |
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kardial | schwere Herzinsuffizienz |
endokrin | Diabetes, Hyperthyreose, Nebenniereninsuffizienz |
gastrointestinal | Diarrhö, Kolitis, mesenterische Ischämie, Malabsorption |
infektiös | chronische Infektionen wie HIV, Tuberkulose |
maligne | Tumoren (solide häufiger als hämato-onkologische) |
medikamentös | Antidepressiva, Antikonvulsiva, Diuretika, Laxanzien, Anxiolytika, Stimulanzien |
psychiatrisch | Anorexia nervosa, Bulimie, Depression, Angststörung |
neurologisch | Demenz, Multiple Sklerose, Parkinson, Schlaganfall, neuromuskuläre Erkrankungen |
renal | schwere Niereninsuffizienz |
respiratorisch | COPD, interstitielle Lungenerkrankung, Vaskulitis |
rheumatologisch | rheumatoide Arthritis |
sozial | exzessiver Alkoholkonsum, Opiatgebrauch, Rauchen, mangelnde Mundhygiene |
Auslöser von ungewolltem Gewichtsverlust werden meist erst spät entdeckt. Die Gründe: Patienten gehen deshalb nicht gleich zum Arzt, nur wenige Ärzte wiegen routinemäßig und es gibt keinen evidenzbasierten Grenzwert, ab dem man nach Ursachen suchen sollte. |
Einer der wichtigsten Gründe für die verspätete Diagnose ist allerdings, dass es für die unfreiwillig schwindenden Pfunde bisher keinen evidenzbasierten Grenzwert gibt, ab dem man auf Tumorsuche gehen sollte. Diverse Studien stufen eine unerwartete Reduktion von 5 % oder mehr innerhalb von einem halben Jahr als abklärungsbedürftig ein. Diese Einschätzung korreliert mit der Krebsgefahr: In einer Untersuchung ging bereits eine Gewichtsreduktion um 5–9,9 % mit einem um 20 % gesteigerten relativen Risiko für ein kolorektales Karzinom einher. Bei einem Verlust von ≥ 10 % war es mehr als verdoppelt (Odds Ratio 2,5).
Schwindende Kilos durch Krebs bedeuten nicht Endstadium
Laut einer Metaanalyse hat mindestens einer von zehn älteren Hausarztpatienten mit Gewichtsverlust ein Karzinom. Über 60-Jährige sollten Ärzte deshalb umgehend zum Malignomausschluss überweisen. Schon bei einem Krebsrisiko über 3 % wird in Großbritannien eine dringende Abklärung empfohlen.
Dabei muss man mit den verschiedensten Malignomen rechnen – von Prostata, Kolon und Lunge bis zum Lymphom. Denn der Gewichtsverlust weist auch nach der Adjustierung für andere Symptome auf ein Malignom hin. Häufig steht er unter den wichtigsten Prädiktoren an zweiter Stelle, z.B. nach rektalen Blutungen bei Darmkrebs, nach Hämoptysen beim Bronchialkarzinom und nach Rippenschmerzen beim Myelom. Der so entdeckte Tumor kann verschiedene Stadien aufweisen, die schwindenden Kilos sind nicht mit Endstadien assoziiert.
Quelle: Nicholson BD et al. BMJ 2019; 366: l5271; DOI: doi.org/10.1136/bmj.l5271