Viszerale Schmerzen Jenseits klassischer Analgetika

UEG Week 2023 Autor: Kathrin Strobel

Starke viszerale Schmerzen können bis zum sozialen Rückzug führen. Starke viszerale Schmerzen können bis zum sozialen Rückzug führen. © Bungon - stock.adobe.com

Viszeraler Schmerz kann für Patienten mit Reizdarmsyndrom oder einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung zermürbend sein und das Leben stark beeinträchtigen. Für eine erfolgreiche Therapie ist es wichtig, den Schmerz nicht isoliert zu betrachten, sondern als Teil ­eines komplexen Systems entlang der Darm-Hirn-Achse.

Bauchschmerzen sind das bestimmende Merkmal beim Reizdarmsyndrom (RDS), das bei allen Patienten auftritt. Doch auch bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) geben mehr als 70 % der Erkrankten abdominelle Schmerzen an. Sowohl bei RDS als auch CED treten zudem extraintestinale Beschwerden auf – z.B. in Form einer Fibromyalgie oder eines chronischen Ganzkörperschmerzes, erklärte Prof. Dr. Qasim­ Aziz­ vom Wingate Institute for Neuro­gastroenterology, London. 
Psychische Faktoren wie Stress können die Schmerzen triggern und verschlimmern. Das gilt sowohl für RDS- als auch für CED-Patienten. 

Bei der Auswahl der Medikamente auch die Lebenssituation bedenken

Umgekehrt wirken sich die mit der Erkrankung einhergehenden Schmerzen auf das psychische Wohlbefinden und die Lebensqualität der Betroffenen aus. Das Bindeglied zwischen beiden Krankheitsentitäten scheint die Inflammation zu sein, so Prof. Aziz­. Denn auch bei Reizdarmpatienten lassen sich zum Teil erhöhte Entzündungswerte nachweisen. In einer Studie beispielsweise waren die Spiegel fast aller Zytokine bei Patienten mit RDS vom Diarrhötyp erhöht, erklärte der Kollege.

Schmerzen bei CED und RDS werden von verschiedenen Faktoren entlang der Darm-Hirn-Achse beeinflusst. Neben einer genetischen Disposition spielen Umwelt- und Persönlichkeitsfaktoren eine Rolle. Häufig liegt eine viszerale Hypersensitivität vor. Auch inflammatorische Prozesse können sich auf die Schmerzentstehung auswirken.

Den Teufelskreis durchbrechen

Bei Schmerzpatienten ist es wichtig, die Mechanismen zu verstehen, die die Beschwerden auslösen oder verstärken, erklärte Dr. Livia Guadagnoli, Katholische Universität Löwen. Bei vielen Betroffenen löse jegliche Empfindung im Gastrointestinaltrakt Angst aus. Diese sorgt dafür, dass der Fokus der Patienten in Richtung der Empfindung geht – was diese verstärkt und damit auch die Angst steigert. In Bezug auf das soziale Leben können die Schmerzen selbst, aber auch die damit einhergehende Angst dazu führen, dass Betroffene bestimmte Situationen meiden, so Dr. Guadagnoli. Das führe zu Stress, der die Schmerzen verstärken könne. Therapieansätze, die an der Darm-Hirn-Achse sowie dem damit verbundenen Verhalten der Patienten ansetzen (brain-gut behavior therapies, BGBT), zielen auf diese psychologischen Prozesse ab und helfen, das für den Patienten schädliche Verhalten (z.B. Katastrophisieren, Vermeidung) zu modifizieren, erklärte die Expertin. Beispiele für BGBT sind die kognitive Verhaltenstherapie, die Darmhypnose und achtsamkeitsbasierte Ansätze.

Laut einer Erhebung in verschiedenen Ländern liegen die Verschreibungsraten für Schmerzmittel bei Patienten mit einer Erkrankung, bei der die Darm-Hirn-Interaktion (disorder of gut-brain interaction; DGBI) gestört ist, doppelt so hoch wie bei nicht von DGBI Betroffenen. Das sollte nicht so sein, findet Prof. Dr. Hans­ Törnblom­, Sahlgrenska-Akademie, Universität Göteborg. Bei Erkrankungen mit gestörter Darm-Hirn-Interaktion, zu denen auch das RDS zählt, seien Neuromodulatoren eine gute Option. Neben den Hauptsymptomen und den klinischen Einflussfaktoren gilt es, bei der Wahl der Medikation auch die Lebenssituation des Patienten in die Überlegungen mit einzubeziehen, so Prof. Törnblom­. Welche psychosozialen Faktoren tragen ggf. zum Beschwerdebild bei? Überwiegen die psychischen Faktoren oder eher die körperlichen?

Manchen Patienten hilft ergänzende Psychotherapie

Je nach Konstellation kommen zur Behandlung SSRI, SNRI, trizyklische oder tetrazyklische Anti­depressiva infrage. Bei nicht ausreichender Wirkung oder wenn die Dosis nicht erhöht werden kann, lässt sich die Basismedikation mit weiteren Substanzen und/oder psychotherapeutischen Verfahren kombinieren. 

Nach dem Beginn einer Behandlung mit Neuromodulatoren sind mindestens ein oder zwei Termine notwendig, um mit dem Patienten die weitere Behandlung zu besprechen, sagte der Experte. Bei den meisten wird man keine komplette Schmerzfreiheit erreichen, erklärte er. Das müsse man sich klar machen. Aber viele Betroffene könnten durch die Behandlung wenigstens wieder am Leben teilhaben, ohne ständig an ihre Schmerzen denken zu müssen. Allein das sei für viele ein großer Fortschritt.

Quelle: UEG* Week 2023

*    United European Gastroenterology