Karpaltunnelsyndrom? Schmerzen, Kribbeln und Taubheit im Handgelenk können auch vom Kopf kommen
© wikimedia/Jose Larena
Vieles wird als Karpaltunnelsyndrom zu uns geschickt, doch eigentlich steckt etwas ganz anderes dahinter“, so die Erfahrung des niedergelassenen Handchirurgen Christian Ludwig aus Mannheim. „Es bringt also nichts, einfach drauflos zu operieren.“ Er empfahl seinen Kollegen, bei Verdacht interdisziplinär vorzugehen. Denn es gilt, einige Differenzialdiagnosen auszuschließen (s. Kasten).
Auswahl an Differenzialdiagnosen
- diabetische Polyneuropathie
- rheumatische Erkrankungen
- Gicht
- Psoriasis
- Nierenerkrankungen
- Hashimoto-Thyreoiditis
- seltener neurologische Erkrankungen wie spinale Muskelatrophien oder amyotrophe Lateralsklerose (keine sensiblen Defizite)
- ossäre Pathologien, z.B. Handgelenksarthrosen, Traumata wie perilunäre Luxation, dislozierte Radiusfrakturen oder Fehllagen des Implantats nach einer Plattenosteosynthese
Osteopathische, Physio- oder Manualtherapie ausprobieren
So könnten z.B. HNO-Erkrankungen Schmerzen verursachen, die manchmal bis in die Hand ausstrahlen und den Untersucher auf eine falsche Fährte locken: „Nasenneben-, Stirn- und Kieferhöhlen sind schließlich allesamt ableitende Strukturen“, sagte der Facharzt für Orthopädie. Interessanterweise seien zudem 8–10 % aller vermeintlichen Karpaltunnelsyndrome (KTS) durch Probleme mit den Zähnen getriggert. Das Spektrum der möglichen Ursachen reiche hier von kariösen Zahnherden über Kieferfehlstellungen, cranio-mandibulärer Dysfunktion (CMD), Zahnwurzelvereiterungen, Reaktionen auf Fremdmaterial wie Amalgan oder Titan bis hin zu Zahnknirschen, Malokklusion und Kreuzbiss, die potenziell zu pseudoradikulären Symptomen führen: „Wer den Verdacht Karpaltunnelsyndrom hegt, sollte deshalb auch den Zahnstatus des Patienten berücksichtigen.“ Ludwig sprach sich dafür aus, grundsätzlich mit einer OP so lange zu warten, wie der Patient es aushält – ausgenommen im Falle von permanent tauben Fingern. Liegt nach eingehender elektrophysiologischer Untersuchung inklusive motorischer und sensibler Neurographie außerdem ein positiver neurologischer Befund vor, sei ebenfalls ein chirurgischer Eingriff indiziert: „Wenn der Neurologe etwas sieht, muss operiert werden“, meinte der Referent. Andere pseudoradikuläre Symptome ohne entsprechende Neurologie eines KTS hingegen lassen sich seiner Erfahrung nach häufig auch konservativ beheben, etwa mit physio-, manualtherapeutischer oder osteopathischer Behandlung. Falls der Betroffene jedoch eine schnelle Lösung fordert, könne man ebenfalls operieren, so der Experte. „Doch dann haben wir nicht alle konservativen Optionen ausgeschöpft.“ Darüber müsse man den Patienten aufklären. Ludwigs Fazit: „Nur im interdisziplinären Arbeitskreis sind die Erfolgsaussichten groß.“Quelle: 20. Bundeskongress Chirurgie