Niereninsuffizienz Keine Ahnung, dass die Filter schwächeln
Die chronische Niereninsuffizienz (Chronic kidney disease, CKD) ist bei Menschen über 40 Jahren ebenso häufig wie ein Diabetes mellitus oder die koronare Herzkrankheit. Trotzdem wissen viele Betroffene nichts über ihre Erkrankung. Das zeigen die von Susanne Stolpe, Universitätsklinik Essen, und Kollegen analysierten Daten aus deutschen Kohortenstudien und Registern.
Bei knapp 37 % der 3.300 ausgewerteten Teilnehmer lag eine Nierenschwäche im Stadium 1 oder 2 vor. 57 % wiesen eine CKD im Stadium 3 auf, knapp 6 % eine im Stadium 4. Von den Befragten gaben zudem 90 % an, Antihypertensiva zu nehmen. Ein großer Teil der Patienten wusste eigenen Angaben zufolge nichts von der Niereninsuffizienz.
Unterschied zeigt sich vor allem in höheren Stadien
In den ersten beiden Stadien war die Unkenntnis über die Insuffizienz bei beiden Geschlechtern mit jeweils 82 % auf dem gleichen Level. Der Unterschied zeigte sich ab dem Stadium 3a: In diesem Fall hatten 74 % der Frauen und 68 % der Männer keine Ahnung, dass ihre Nieren nicht mehr richtig funktionierten. Im Stadium 3b wuchs der Wissensunterschied auf 14 Prozentpunkte an (57,6 % vs. 43,7 %), im nächsten Stadium fiel er trotz schwerer Funktionseinschränkung noch deutlicher aus (43 % vs 22 %). Die Differenzen waren über alle Altersgruppen sichtbar und bestanden unabhängig vom Vorliegen anderer Risikofaktoren wie Diabetes, Hypertonie, Proteinurie oder kardiovaskulärer Erkrankungen.
Warum Frauen seltener von ihrer Erkrankung wussten als Männer, ist schwer zu erklären, schreiben die Forscher. Das ist umso unverständlicher, als dass Frauen häufiger an Vorsorgeterminen teilnehmen, aktiver nach Gesundheitsinformationen suchen und seltener ein gesundheitliches Risikoverhalten zeigen als das vermeintlich starke Geschlecht. Da Männer mit Niereninsuffizienz allerdings ein höheres Risiko für Nierenversagen haben, könnten Ärzte ihre Nierenfunktion häufiger überprüfen und die Patienten so eher von ihrer CKD wissen, mutmaßen die Epidemiologin und ihre Kollegen.
Eine weitere mögliche Ursache ist die Tatsache, dass vor allem männliche Ärzte nicht immun sind gegen einen unbewussten Geschlechter-Bias und deshalb Versorgung und Information nierenkranker Frauen schlechter ist. Das ist auch aus anderen Bereichen der Medizin bekannt. So werden Frauen mit KHK trotz gleicher Anamnese seltener invasiv behandelt als Männer. Und in Hausarztpraxen wurden einer Studie zufolge bei Patientinnen mit Hypertonie seltener nach Risikofaktoren gefahndet als bei männlichen Hypertonikern.
Quelle: Stolpe S et al, Dtsch Med Wochenschr 2022; DOI: 10.1055/a-1819-0870