Kleine Keime, großes Geschäft: Probiotika sind oft rausgeschmissenes Geld
Probiotika gelten als gesund für den Darm und erfreuen sich wachsender Beliebtheit. In den Jahren 2007 bis 2015 dürfte sich die Zahl der Konsumenten in den USA auf schätzungsweise 3,9 Millionen vervierfacht haben. Medizinisch lässt sich der Nutzen der angereicherten Produkte zur Behandlung gastrointestinaler Erkrankungen allerdings kaum belegen, wie Mitglieder der American Gastroenterological Association in ihrer neuen Leitlinie festgehalten haben. Wirklich zu empfehlen seien Probiotika nur selten.
Das Autorenteam um Professor Dr. Grace L. Su von der University of Michigan in Ann Arbor bemängelt vor allem die überwiegend geringe Evidenz der verfügbaren Studien. Diese basierten häufig nur auf wenigen Teilnehmern und seien, unter anderem wegen der unterschiedlichen getesteten Bakterienstämme, insgesamt schlecht untereinander vergleichbar. Einen Einsatz von Probiotika in der Behandlung einer Infektion mit C. difficile, beim Reizdarmsyndrom und chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder ulzerativer Kolitis empfehlen die Autoren daher aktuell nur im Rahmen klinischer Studien. Die Wissenslücken seien einfach noch zu groß. Bei Kindern mit akuten Magen-Darm-Entzündungen raten sie sogar von Probiotika ab.
Option bei hohem Risiko einer Infektion mit C. difficile
Lediglich in der Prävention einer C.-difficile-Infektion, bei einer Pouchitis sowie bei Frühgeborenen mit niedrigem Geburtsgewicht von unter 2500 g stellen Probiotika nach Ansicht des Expertengremiums eine Therapieoption dar. Eine starke Empfehlung spricht die Leitlinie aber auch in diesen Fällen nicht aus.
Konkret können der Hefepilz Saccharomyces boulardii, die Paarung Lactobacillus acidophilus CL1285 und L. casei LBC80R oder L. acidophilus, L. delbrueckii bulgaricus und Bifidobacterium bifidum als Dreier- bzw. zusätzlich mit Streptococcus salivarius thermophilus als Vierer-Kombi die Wahrscheinlichkeit für Infektionen mit C. difficile gegenüber Placebo um etwa 60–80 % senken. Allerdings wohl hauptsächlich bei Personen mit hohem Risiko für eine solche Erkrankung. Da die Studienergebnisse negative Effekte durch Probiotika nicht ausschließen, sollten Patienten, für die eine Infektion eher unwahrscheinlich ist, und denen die Gefahr für mögliche Schäden oder die Kosten zu hoch sind, nach Ansicht der Fachgesellschaft eher von derartigen Präparaten absehen.
Auch wenn die Datenlage zur Verwendung von Probiotika bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen noch mau ist: Kommt es nach einer Proktokolektomie zu einer Entzündung der Darmanastomose, kann man die bakterielle Unterstützung erwägen. Als hilfreich erwiesen hat sich bislang nur die Kombination aus den acht (Unter-)Arten:
- Lactobacillus paracasei paracasei,
- L. plantarum,
- L. acidophilus,
- L. delbrueckii bulgaricus,
- Bifidobacterium longum longum,
- B. breve,
- B. longum infantis und
- Streptococcus salivarius thermophilus,
entsprechend den Stämmen DSM* 24730 bis 24737. Diese kann die Chance auf eine Remission erhöhen und verhindert eventuell bereits das erste Auftreten einer Pouchitis. Ob sich weitere Stämme eignen oder der Effekt auch bei Pouchpatienten mit anderen Darmerkrankungen eintritt, bleibt zu klären.
Hohe Evidenz liegt der Empfehlung zugrunde, Frühgeborene mit einem niedrigen Geburtsgewicht probiotisch zu behandeln. Verschiedene Spezies der Gattungen Lactobacillus und Bifidobacterium senken Studien zufolge einzeln oder in Kombination die Sterblichkeit um 44 % und das Risiko für eine schwere nekrotisierende Enterokolitis um 45–69 %.
Frühgeborene können durch Probiotika eher nach Hause
Letztere ist in dieser Patientengruppe der bedeutendste gastrointestinale Notfall. Geeignet sind zum Teil einzelne Stämme der Arten
- L. reuteri,
- B. animalis lactis – einzeln oder zusammen mit L. acidophilus, B. bifidum und B. longum longum,
- L. rhamnosus – einzeln, zusammen mit B. longum infantis sowie in Kombination mit L. acidophilus, L. casei, B. longum infantis, B. longum longum und B. bifidum,
- L. acidophilus mit B. longum infantis oder B. bifidum sowie
- L. casei zusammen mit B. breve.
Zudem können die Säuglinge mithilfe einiger dieser Kombinationen oder Stämme rund zwei Tage eher komplett enteral ernährt und rund ein bis zwei Wochen früher entlassen werden.
* Deutsche Sammlung von Mikroorganismen
Quellen:
1. Su GL et al. Gastroenterology 2020; DOI: 10.1053/j.gastro.2020.05.059
2. Pressemeldung der American Gastroenterological Association