Zementembolie Knochenstärker auf Abwegen

Autor: Dr. Dorothea Ranft

Ein postoperatives Screening-Programm zur Detektion etwaiger Embolien ist noch nicht etabliert. Ein postoperatives Screening-Programm zur Detektion etwaiger Embolien ist noch nicht etabliert. © Chinnapong - stock.adobe.com

Bei anhaltender Dyspnoe denkt man gemeinhin an häufige Ursachen wie Asthma, COPD oder Herzinsuffizienz. Dass auch weit verbreitete orthopädische Interventionen die Atmung empfindlich beeinträchtigen können, zeigt der Fall einer Schweizer Patientin. 

Eine 72-Jährige stellt sich in der Notaufnahme wegen eines produktiven Hustens vor, der sich seit drei Tagen ohne Zunahme von Auswurf und Eiterbildung verschlimmert hat. Zudem leidet die ältere Dame seit einigen Monaten an Dyspnoe, bekannt ist zudem eine mittelschwere COPD. Aufgrund von zwei unprovozierten tiefen Venenthrombosen (vor 6 bzw. 13 Jahren) und einer sechs Jahre zurückliegenden Lungenembolie steht sie unter oraler Antikoagulation. Osteoporotische Frakturen und Sinterungen hatten wiederholt Vertebroplastien der Brust- und Lendenwirbelsäule (Th4-Th12 und L1-L5) erforderlich gemacht, zuletzt vor etwa anderthalb Jahren.

In der Notaufnahme fällt eine Tachypnoe mit supraklavikulären Einziehungen auf. Die Sauerstoffsättigung bei Raumluft ist mit 80% deutlich reduziert. Die Auskultation ergibt ein diffuses Pfeifen und ein basales Brummen auf der linken Seite, schreiben Cyril Derouet vom Réseau Hospitalier Neuchâtelois in Neuchâtel und Koautoren. Im Röntgenthorax zeigt sich ein Emphysem ohne Herde oder Hinweise auf eine kardiale Dekompensation. Die CT ergibt Zementemboli in Segmentarterien des rechten Mittel- und Unterlappens.

Aufgrund der Klinik ziehen die Schweizer Kollegen zwei Diagnosen in Erwägung: COPD-Exazerbation und Atemnot infolge der Emboli. Trotz intensiver COPD-Medikation, nicht-invasiver Beatmung und Physiotherapie bleibt die niedrige O2-Sättigung, zumindest unter Belastung, bestehen. Die transthorakale Sonografie ergibt eine pulmonale Hypertonie ohne Zeichen einer Linksherzerkrankung. Somit bleibt als wahrscheinlichste Ursache der auf Abwege gelangte Knochenstärker Polymethylmethacrylat (PMMA).

Derartige Emboli können im Nachgang von zwei unterschiedlichen minimalinvasiven Eingriffen entstehen: Durch die Vertebroplastie stabilisiert man pathologische Wirbelfrakturen (Osteoporose, Metastasen) mit flüssigem PMMA, um den Schmerz zu lindern. Bei der Kyphoplastie verdichtet man zuvor die Spongiosa mittels eines Ballons, was den Wirbelkörper wieder aufrichtet. Die pulmonale Zementembolie ist eine bekannte Komplikation beider Interventionen, bei der Vertebroplastie tritt sie häufiger auf.

Die meisten Patienten mit PMMA-Leckage bleiben beschwerdefrei. Ein postoperatives Screening-Programm zur Detektion etwaiger Embolien ist noch nicht etabliert. Deswegen werden diese zu selten diagnostiziert. Auch die langfristigen Folgen der Verlagerung des Füllmaterials sind noch unzureichend bekannt. Studien zur pulmonalen Hypertonie infolge der ossären Interventionen fehlen. Für asymptomatische Patienten mit peripherer-pulmonaler Manifestation wird lediglich eine klinische Überwachung empfohlen. Bei Beschwerden sollte eine orale Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten über sechs Monate erfolgen. Die operative Thrombektomie ist nur bei einem zentralen Befund indiziert.

Quelle: Derouet C et al. Swiss Med Forum 2024; 24: 330-332; doi: 10.4414/smf.2024.1244988827