Sentinelbiopsie Lymphknoten lieber belassen

Autor: Dr. Susanne Gallus

Die Bedeutung der SLNB könnte in den kommenden Jahren deutlich zurück gehen. Die Bedeutung der SLNB könnte in den kommenden Jahren deutlich zurück gehen. © Peter – stock.adobe.com

Ein Lentigo maligna Melanom (LMM) entwickeln vor allem ältere Patienten typischerweise im Bereich von Kopf und Hals. Im Gegensatz zu anderen Melanomen wächst es meist nur langsam und hat eine bessere Prognose. Braucht es daher eine Sentinel-Biopsie? 

Beim Mammakarzinom ist die Sentinel-Lymphknotenbiopsie (SLNB) nach wie vor therapieentscheidend. So werden per SLNB Kandidatinnen mit erhöhtem Risiko für Progress identifiziert oder solche, bei denen eine ergänzende axilläre LAD indiziert ist. Die derzeitige Datenlage lässt auch nicht darauf schließen, dass sich das in nächster Zeit ändert, erklärte Prof. Dr. Roland­ Kaufmann von der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Uniklinikum Frankfurt. Für ihn ist damit sicher, dass die SLNB an sich noch nicht ausgedient hat.

Wie steht es um die Situation bei kutanen Malignitäten? Im Falle des Merkelzellkarzinoms behält die SLNB sowohl in der EADO-Guideline als auch in der deutschen S2k-Leitlinie weiterhin eine therapie­entscheidende Stelle. Grund dafür ist u.a. die Häufigkeit der lymphogenen Metastasierung. An einen positiven Befund schließen sich z.B. eine Radiatio (50–55 Gy) oder eine therapeutische Lymphknotendissektion an. Und diese Zusatztherapien sind für das Überleben der Patienten von Bedeutung, wies Prof. Kaufmann­ auf die Studienlage hin. 

Welche Position nimmt die SLNB in Hinblick auf (neo)adjuvante Immuntherapien ein? Auch in diesen Fällen sah der Referent aufgrund der derzeitigen Datenlage Primärexzision und SLNB noch als zukunftsfähig an. „Eben gerade auch für die, die nicht auf die neo­adjuvante Therapie ansprechen“, fügte er hinzu. 

Etwas schwammiger werde die Sache allerdings beim Melanom. Die SLNB gehörte bisher bei Staging und Prognose zum Standard. Durch die Zulassung von Pembrolizumab und Nivolumab beim fortgeschrittenen Primärtumorstadium (IIB, C) bahnt sich ein Paradigmenwechsel an. Hat die SLNB deshalb ausgedient? 

Unsichere Patienten, die eine adjuvante Therapie eigentlich ablehnen, könnten durch die SLNB im Falle eines negativen Befunds mehr Sicherheit gewinnen. Oder bei positivem Ergebnis würde ihnen die Entscheidung sozusagen auch abgenommen, fand Prof. Kaufmann dennoch Argumente für deren Einsatz. Außerdem zeigen Studien­daten, dass das Ergebnis der SLNB insbesondere bei Tumoren > 4 mm prognostisch relevant und wichtig für die loko­regionale Kontrolle ist. 

Ein weiterer Punkt, den man in Hinterkopf haben sollte, ist die Möglichkeit der zielgerichteten Therapie bei BRAF-mutierten Tumoren. Dabrafenib und Trametinib besitzen nur eine Zulassung für das Stadium III, gab Prof. Kaufmann zu bedenken. Und dafür brauche man wieder das Ergebnis der Sentinel-Lymphknotenbiopsie. 

„Zwar Routine, aber mit vielen Problemen“

Sein Gegenredner, Prof. Dr. Dirk Schadendorf vom Hauttumorzentrum der Universitätsklinik Essen, beleuchtete die Sachlage für seinen Konterpart aus einem anderen Blickwinkel. „Sentinel-Node-Biopsie ist zwar Routine, hat aber wirklich viele Probleme“:

  • es kommt zu falsch-positiven Ergebnissen oder die Markierung gelingt erst gar nicht
  • es gibt einen Mangel an Technetium-99, der sich zukünftig wohl noch verschlimmern wird
  • es ist eine radioaktive, kosten­intensive Prozedur
  • es gibt unterschiedlich standardisierte Aufarbeitungsprotokolle
  • die Rate an falsch-negativen Ergebnissen liegt je nach Protokoll bei bis zu 44 %

Hinzu kommt, dass die Behandlung des lokoregionären Abflussgebietes per Bestrahlung oder Operation keinen Effekt auf das Gesamtüberleben zeigt, führte Prof. Schadendorf weiter aus. „Und es ist natürlich eine invasive Prozedur mit entsprechenden Morbiditätsrisiken.“ Diese Risiken wiegen schwer, sollte die SLNB – provokant ausgedrückt – nur noch stattfinden, um den Tumor in die korrekte AJCC-Klasse einzuordnen. Einen Vorteil bietet der positive Befund, wenn z.B. bei dünnen oder nicht-ulzerierten Melanomen der positive Befund ein ­Upstaging zum Stadium III ermöglicht und diese dann Zugang zu einer Immun- bzw. zielgerichteten Therapie haben. Die Entscheidung pro SLNB sollte folglich den Wunsch der Betroffenen explizit berücksichtigen, d.h., dass diese entweder dann auch die jeweilige Behandlung erhalten oder die Prognose wissen möchten (s. Kasten). 

Wichtige Aspekte für das Aufklärungsgespräch

Worauf man Patient:innen ab dem Stadium IIB vor der SLNB hinweisen sollte:

  • Wollen sie die Prognose trotzdem wissen, obwohl schon eine Therapieentscheidung getroffen wurde?

  • Welchen individuellen Vorteil bringt die SLNB im Vergleich zu den Risiken des Eingriffs?

  • Steht eine zielgerichtete Therapie mit BRAF/MEK-Inhibitoren überhaupt zur Debatte?

Komplikation wahrscheinlicher als positiver SLN-Befund

Sind Patienten in frühen Tumorstadien die bessere Zielgruppe für die SLNB? Bei T1-Tumoren zeigen sich die besten Überlebens­chancen. Die Fünf-Jahres-Überlebensrate liegt in australischen und US-amerikanischen Kohorten bei etwa 97 %, gab der Referent zu bedenken. Betrachtet man zusätzlich die Komplikationsrate von insgesamt 11,3 %, die in einer Auswertung mit 9.000 Erkrankten ermittelt wurde, ist es deutlich wahrscheinlicher, dass der Patient z.B. eine Infektion, ein Serom oder ein Lymphödem entwickelt, als dass in diesem Stadium ein positiver Lymphknoten gefunden wird (5–7,8 %).

Sentinel beim Lentigo-maligna-Melanom belassen?

Aufgrund des langsamen horizontalen Wachstums und der verhältnismäßig guten Prognose wird insbesondere beim Lentigo-maligna-Melanom der Stellenwert der Sentinel-Lymphknotenbiopsie diskutiert. Durch die Lokalisation im Kopf-Hals-Bereich wird das LMM in der Regel via Mohs-Chirurgie entfernt, schreiben Dr. Julia Huynh von der Klinik für Dermatologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin und Kollegen.

Der Datensatz, den die Wissenschaftler retrospektiv auswerteten, beinhaltete 204 LMM-Patienten, die zwischen 2008 und 2019 in der Klinik für Dermatologie der Universitätsklinik Tübingen operiert wurden. Einschlusskriterien waren u.a. eine Tumordicke ≥ 1 mm und das Fehlen von Metastasen zum Zeitpunkt der Diagnose. Das mediane Alter der Patienten lag bei 75,7 Jahren.

Bei 126 LMM-Patienten wurde eine Biopsie des Wächterlymphknotens durchgeführt, 16 davon waren positiv und hatten zur Folge, dass die Patienten – wie Patienten, bei denen im Verlauf Metastasen auftraten, – zweimal jährlich im CT oder MRT komplett durchgecheckt wurden und ggf. eine adjuvante Therapie oder eine komplette Lymphknotendissektion (CLND) erhielten. Ohne SLNB oder bei negativem Befund erfolgte die Behandlung gemäß der Leitlinie zum Stadium IIC.

Gesamtüberleben wird durch die Biopsie nicht verbessert

Es zeigte sich zwischen den beiden Gruppen kein signifikanter Unterschied im fernmetastasenfreien Überleben und dem Gesamtüberleben, schreiben die Wissenschaftler. Bisher erlaubte die SLNB durch die frühzeitige Erkennung von Mikrometastasen nicht nur eine Risikostratifizierung, sondern dass die Betroffenen auch schneller eine primäre sowie adjuvante Immuntherapie erhalten konnten. Seit Juli 2022 kann eine adjuvante Immuntherapie aber auch bei Risikopatienten im Stadium IIC ohne positive SLNB erfolgen. Zwar kann die SLNB generell als sicher angesehen werden, dennoch ist der Eingriff im Kopf-Hals-Bereich mit Risiken verbunden, betonen die Autoren. Und nur wenige Sentinels seien tatsächlich positiv. Außerdem stimmen selbst bei positivem Befund viele ältere Patienten weiteren therapeutischen Maßnahmen, z.B. einer adjuvanten Immuntherapie oder CLND aus Angst vor Nebenwirkungen oder Komplikationen nicht zu, so Dr. Huynh und Kollegen.

Dr. Anna Millenaar

Quelle: Huynh J et al. Eur Acad Dermatol Venerol 2023; DOI: 10.1111/jdv.19456

Für Prof. Schadendorf stand damit außer Frage, dass die Zulassung von adjuvanten Therapien im klinischen Stadium II zu einem Paradigmenwechsel beim Melanom geführt hat. Die Bedeutung der SLNB werde innerhalb der nächsten fünf Jahre kontinuierlich sinken. Bei einer Tumordicke > 2–4 mm und Ulzeration habe man nun ungeachtet des Sentinelstatus eine Therapie­option. Das Einzige, was man bei diesen Patienten durch die SLNB ggf. gewinnt, „ist eine Prognose­information, die wir nicht beeinflussen können durch unsere Therapie“. Vielleicht werden in naher Zukunft bessere Biomarker gefunden.

Quelle: Kongressbericht 33. Deutscher Hautkrebskongress