Schlaganfall Lyse mit Thrombektomie kombinieren
Das Vorgehen bei einem „frühen“ Schlaganfallpatienten ist eindeutig: Man schließt via CT eine Hirnblutung aus und führt innerhalb des Zeitfenster von 4,5 Stunden nach Symptombeginn eine systemische Thrombolyse durch. Je schneller sie der Patient erhält, desto größer ist die Erfolgswahrscheinlichkeit, erinnerte Professor Dr. Martin Grond, Klinik für Neurologie am Kreisklinikum Siegen.
Eine Thrombektomie kommt dagegen nur für wenige Betroffene infrage. Im klinischen Alltag weisen fast die Hälfte der Patienten einen Score von < 5 auf der National Institutes of Health Stroke Scale (NIHSS) auf. Für sie ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass ein Verschluss der großen hirnversorgenden Gefäße des vorderen Kreislaufs oder der A. basilaris vorliegt. In den Thrombektomiestudien hätten die durchschnittlichen NIHSS-Werte sehr viel höher gelegen, meinte der Neurologe.
Ohne Frage hat die Thrombektomie in den Zulassungsstudien zu einer bis dahin nie dagewesenen absoluten Risikoreduktion eines Defizits > 2 gemäß modified Rankin-Scale von um die 20 % geführt, sagte Prof. Grond. In fast allen Zulassungsstudien war aber zuerst eine Thrombolyse eingeleitet und dann die Thrombektomie durchgeführt worden. „Ich plädiere immer dafür, dass man es im richtigen Leben macht wie in den Studien“, sagte er.
Zeitschiene im Alltag deutlich länger
Zur Verunsicherung kam es jedoch, nachdem die Studie DIRECT-MT keine Unterlegenheit der alleinigen Thrombektomie gegenüber Thrombektomie plus Lyse gezeigt hatte. Wie Prof. Grond erläuterte, waren in dieser Studie die Bedingungen deutlich anders als in der hiesigen Regelversorgung: Zwischen Beginn der Thrombolyse und der Thrombektomie lagen im Kombinationsarm nur 36 Minuten – eine Situation, die im klinischen Alltag mit gegebenenfalls nötigem Sekundärtransport kein Standard ist. In so kurzer Zeit habe die Lyse gar nicht wirken können, glaubt der Kollege.
Der Realität näher kommt seiner Ansicht nach SWIFT DIRECT. In dieser noch nicht voll publizierten Studie lag zwischen Beginn der Lyse und der Thrombektomie ein Zeitraum von im Median 144 Minuten. Der primäre Endpunkt, Nichtunterlegenheit der alleinigen Thrombektomie, wurde verfehlt. Einen mRS von 0–2 wiesen nach 90 Tagen 57 % der Patienten mit alleiniger Thrombektomie und 65 % derjenigen mit der Kombination von Lyse und Thrombektomie auf. Eine Rekanalisation gelang bei 91 % bzw. 97 % der Patienten (p = 0,022). Damit ändert sich laut Prof. Grond erst einmal nichts am Standard Lyse plus Thrombektomie. Blutungskomplikationen ließ er als Argument gegen die Lyse nicht gelten. Der Nettobenefit habe in allen Studien immer bei der Lyse gelegen.
Die verschiedenen Methoden zur Penumbra-Bildgebung sollen helfen, rettbares Gewebe und damit die Chance auf einen Behandlungserfolg von Lyse und Thrombektomie abzuschätzen. So lässt sich das Lyse-Zeitfenster bei Identifizierung einer Penumbra auf bis zu neun Stunden erweitern. Die absolute Reduktion des Risikos für ein bleibendes deutliches Defizit liegt dann laut Prof. Grond noch bei 7 %. Ist eine Penumbra nachgewiesen, kann man das Zeitfenster für die Thrombektomie sogar auf bis zu 24 Stunden erweitern, dadurch wird das absolute Risiko für schwere Defizite um mehr als 25 % reduziert.
Pro Sekunde gehen 2,2 h gesunde Lebenszeit verloren
Auf eine Penumbra kann auch aus dem Mismatch zwischen Klinik und Infarktkern, z.B. in der FLAIR-Bildgebung, geschlossen werden. In einer südkoreanischen Studie wurde bei ausgeprägter Klinik, aber kleinem Infarktkern noch Tage nach Symptombeginn mit gutem Ergebnis (mRS ≤ 2 nach 90 Tagen) eine Thrombektomie durchgeführt. Das sollte aber nicht dazu führen, sich mit der Thrombektomie mehr Zeit zu lassen, betonte Prof. Grond. „Jede Sekunde Verzögerung führt zum Verlust von 2,2 Stunden gesunder Lebenszeit“, zitierte er eine aktuelle Metaanalyse.
Von einer Lyse können nach aktuellen Ergebnissen auch Patienten mit Schlaganfall und unklarem Symptombeginn („Wake-up-Stroke“) profitieren. Voraussetzung ist wiederum, dass die Bildgebung aufgrund eines Mismatches zwischen Diffusions- und FLAIR-Bildgebung für eine Penumbra spricht (s. Kasten). Das gilt auch bei lakunären Schlaganfällen, betonte Prof. Grond. Patienten mit einem Mismatch in der Lakune hatten nach der Lyse eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit für einen mRS von 0–1 als Patienten, die nicht lysiert worden waren (aRR 13 %). Es gilt also nicht mehr, dass man lakunäre Infarkte nicht lysieren soll, betonte Prof. Grond.
Sonnenbrille für die Diagnose
In der Bildgebung beim Schlaganfall mit unklarem Symptombeginn muss die Penumbra neu definiert werden. Lange hieß es: Was in der Diffusionsbildgebung leuchtet, ist irreversibel geschädigt. Jetzt gilt laut Prof. Grond: Veränderungen, die man in der Diffusionsbildgebung sehen kann, aber noch nicht in der FLAIR-Bildgebung, sind potenziell reversibel.
In der WAKE-UP-Studie profitierten Schlaganfallpatienten mit unklarem Symptombeginn, die unter diesen Voraussetzungen behandelt wurden, deutlich von einer Thrombolyse. Das Risiko relevanter Defizite wurde um absolut 12 % verringert. Zur Beurteilung der FLAIR-Bildgebung sollte eine Sonnenbrille parat liegen, empfahl Prof. Grond. Wenn man eine Sonnenbrille aufzieht und im FLAIR-Bild nichts sieht, ist die FLAIR negativ. Das machte man sich auch in der WAKE-UP-Studie zunutze.
Im Alltag könne allerdings einfacher auf eine Penumbra geschlossen werden: Zeichnet sich bei einem Schlaganfall mit unklarem Symptombeginn noch keine ausgedehnte Demarkierung im normalen CT ohne Kontrastmittel ab, spricht dies für eine Penumbra. Die Patienten könnten also von einer Thrombolyse profitieren.
Quelle: 94. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie – Live. Interaktiv. Digital.