Retten, was zu retten ist Thrombektomie auch bei großen Infarktkernen

DGN 2024 Autor: Friederike Klein

Mehrere prospektive Studien haben einen Vorteil einer Thrombusentfernung bei großen Infarktkernen belegt. Mehrere prospektive Studien haben einen Vorteil einer Thrombusentfernung bei großen Infarktkernen belegt. © farland9 - stock.adobe.com (Generiert mit KI)

Mehrere prospektive Studien haben einen Vorteil einer Thrombusentfernung bei großen Infarktkernen belegt. So erfolgreich wie bei kleineren Kernzonen ist das Verfahren jedoch meist nicht. In der Routine bleibt die Entscheidung eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung.

Acht Stunden, nachdem er sie noch in gutem Allgemeinbefinden gesehen hatte, fand ein Nachbar eine 76-jährige Seniorin aus Hamburg nicht ansprechbar in ihrer Wohnung auf. Im Krankenhaus zeigten sich 45 Minuten später eine globale Aphasie mit Hemiplegie rechts, eine Blickwendung nach links und ein NIHSS*-Score von 24, berichtete PD Dr. Bastian­ Cheng­ vom Kopf- und Neurozentrum des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. Die Seniorin hatte bis dahin mit gelegentlicher Unterstützung von ihren Nachbarn alleine zu Hause gelebt, ging selbst einkaufen und kochte für sich. Einen Pflegedienst hatte sie nicht benötigt.

Das EKG zeigte ein Vorhofflimmern, die Patientin hatte keine Antikoagulation eingenommen. Eine CT ergab einen großen Infarktkern (ASPECTS**-Wert 4); in der CT-Angiographie wurde ein M1-Verschluss links festgestellt. „Eine solche Patientin würden wir immer mechanisch thrombektomieren“, erklärte Dr. Cheng.

Für die Bewertung der vorhandenen Studienergebnisse sei ein Aspekt besonders wichtig: Mit der Thrombektomie steigt der Anteil der Patientinnen und Patienten mit großen Infarktkernen, die nach 90 Tagen wieder gehfähig sind (0–3 auf der modifizierten Rankin-Skala, mRS). Der Anteil der komplett Pflegebedürftigen (mRS 5) wächst dabei nicht. In der Studie RESCUE-Japan LIMIT beispielsweise erreichten nach 90 Tagen 31 % der mit Thrombektomie Behandelten mit einem ASPECTS 3–5 einen mRS-Wert von 0–3, ohne Thrombektomie waren es nur 12,7 %.

In der TENSION-Studie wurde der Infarktkern meist nicht mit der Perfusionsbildgebung, sondern mithilfe einer nativen CT bestimmt. Diese habe sich zusammen mit der CT-Angiographie in der Routine meist durchgesetzt, erläuterte Dr. Chang. In dieser Untersuchung lag der Anteil der von einem ischämischen Schlaganfall mit ASPECTS 3–5 Betroffenen mit Gehfähigkeit 90 Tage nach Thrombektomie bei 32 %; ohne Thrombektomie waren es 13 %. Zwölf-Monats-Ergebnisse bestätigten den Vorteil der Thrombusentfernung in dieser Situation: Nach einem Jahr waren in der Thrombektomie-Gruppe etwa 34 % gehfähig, in der Kontrollgruppe etwa 15%. Der Anteil der Patientinnen und Patienten mit kompletter Pflegebedürftigkeit war in der Thrombektomiegruppe nach zwölf Monaten allerdings höher als in der Kontrollgruppe (19 % vs. 13 %). „Das macht die Entscheidung im Einzelfall sehr schwierig“, gab Dr. Cheng zu.

Aber selbst bei sehr großen Infarktkernen ohne Obergrenze der Läsionsgröße (ASPECTS 0–5) gibt es positive Studienergebnisse für die Thrombektomie innerhalb eines 6,5-Stunden-Zeitfensters. Einen mRS 0–3 erreichten in der LASTE-Studie mit Thrombektomie 32 % (vs. 13 % ohne) und es verstarben weniger Behandelte (36,1 % vs. 55,5 %). In allen analysierten Subgruppen zeigte sich ein ähnlicher Trend zugunsten der Thrombektomie, auch bei ASPECTS 0–2.

Eine retrospektive Analyse von Daten der Langzeitstudie German Stroke Registry–Endovascular Treatment zeigte eine starke Altersabhängigkeit des Behandlungsergebnisses: Ein Alter über 80 Jahre war bei einem Schlaganfall mit ASPECTS 0–5 mit einem schlechten funktionellen Status und einer hohen Mortalität im Verlauf assoziiert. Entscheidender Prädiktor für die Mobilität nach 90 Tagen war jedoch unabhängig vom Alter die erfolgreiche Reperfusion, betonte Dr. Cheng.

Ein weiterer Prädiktor war eine bereits vor dem Schlaganfall bestehende funktionelle Einschränkung. Für die Routine empfahl der Neurologe, die Thrombektomie unabhängig vom ASPECTS grundsätzlich als Standard bei Großgefäßverschlüssen (Carotis, M1) anzusehen, aber immer die individuellen Faktoren des Betroffenen zu berücksichtigen, beispielsweise eine geringe Lebenserwartung und bereits bestehende Pflegebedürftigkeit.

Die Evidenz aus den bisherigen Studien legt Dr. Cheng zufolge nahe, die Thrombektomie insbesondere bei einem Zeitfenster bis zu sechs Stunden nach Symptombeginn unabhängig vom ASPECTS durchzuführen. Bei einem verlängerten Zeitfenster oder unbekannter Symptomdauer kann eine Thrombektomie in Erwägung gezogen werden, sollte jedoch seiner Ansicht nach bei Patientinnen und Patienten über 80 Jahre kritisch geprüft werden. Bei einem ASPECTS 0–3 könne möglicherweise eine ausgeprägte Hypodensität der Läsion als Prädiktor für ein schlechtes funktionelles Ergebnis herangezogen werden. Dieser Aspekt wird derzeit weiter erforscht.

Quelle: 97. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie