Schlaganfall Management auf offener Straße
Die klassische Hemiparese oder Fazialislähmung tritt nicht bei jedem Schlaganfall auf. Sinnvoll ist es daher, zur Sicherung der Diagnose Scores einzusetzen. Seit Langem kommt dafür der FAST-Score zum Einsatz. Wie Dr. Christian Claudi von der Neurologischen Klinik am Universitätsklinikum Gießen erklärte, lässt er sich zum BE-FAST-Score erweitern. Darin werden folgende Punkte getestet:
- Balance: Gleichgewichtsstörung, Gangunsicherheit, Schwindel
- Eyes: Sehstörungen
- Face: Zähne zeigen
- Arm: Armhalteversuch
- Speech: Sprechvermögen
- Time: Verlauf
Eine vergleichende Studie hat allerdings gezeigt, dass durch das Zufügen von B und E die Detektion eines Schlaganfalls wohl nicht verbessert wird. Ein Viertel aller Patienten hat zudem keines der typischen Symptome, die durch den FAST-Score erfasst werden.
Ischämien der hinteren Zirkulation bereiten Probleme
Deshalb sind weitere Tests wichtig. Man sollte die Koordination mithilfe des Finger-Nase-Versuchs überprüfen, den Pupillenstatus ermitteln und auf Zungenbisse, Einnässen und Hinweise für einen Krampfanfall achten. Meningismus und Blickabweichungen sind ebenso diagnostisch relevant wie der Wert auf der Glasgow Coma Scale.
Besondere Probleme bereiten Insulte der hinteren Zirkulation, die immerhin 30 % aller Fälle ausmachen. Vertebrobasilare Infarkte werden dreimal häufiger übersehen als die der vorderen Versorgungsgebiete – auch FAST ist dann weniger effektiv. In Gießen nutzt man inzwischen den FAST4D, der durch die folgenden vier „D“ ergänzt wird: Diplopie, Dysmetrie, Dizziness (Schwindel) und „deficit in field of view“ (eingeschränktes Gesichtsfeld). Den erweiterten Score haben Forscher in einer Studie mit 1.862 Patienten geprüft, 75 % hatten einen Schlaganfall. Mit FAST4D ließen sich 91 % der Patienten korrekt identifizieren, mit FAST 77 %.
Wie geht es nach der Diagnose weiter? Dafür gibt es unterschiedliche präklinische Strategien:
- Mothership: Der Patient wird direkt in ein Thrombektomiezentrum („Mutterschiff“) gefahren.
- Drip and Ship: Der Patient kommt zur Diagnostik in ein nahegelegenes Krankenhaus. Je nach Befund wird eine Lyse eingeleitet und zur Thrombektomie weiter verlegt.
- Drip and Drive: Der Transport erfolgt ebenfalls ins nahegelegene Krankenhaus, nach der Diagnostik kommt bei Bedarf ein Thrombektomieexperte vom Zentrum dorthin.
- Mobile Stroke Unit: Das Team klärt ab, was nötig ist, kann die Lyse starten und eine geeignete Klinik direkt anfahren.
„Drip and Drive“ findet bislang nur selten Anwendung, berichtete PD Dr. Ilko Maier von der Klinik für Neurologie der Universitätsmedizin Göttingen. „Drip and Ship“ wird schon häufiger eingesetzt – und scheint dem Mothership-Modell nicht wesentlich unterlegen zu sein.
Ein Score für den Infarkt großer Gefäße
Zur Abschätzung der Wahrscheinlichkeit für den Verschluss eines großen Gefäßes (large vessel occlusion stroke, LVOS) gibt es eine ganze Reihe von Scores. In Göttingen wendet der Rettungsdienst präklinisch den FAST-ED*-Score an. Darin werden Fazialis- und Armparesen, Körperwahrnehmung, Sprachvermögen, Blickwendung und Krankheitseinsicht geprüft und mit Punkten bewertet, neun gibt es maximal. Bei 0–1 Punkt liegt die Wahrscheinlichkeit für einen LVOS unter 15 %, mit 2–3 Punkten bei etwa 30 %. In diesen Fällen meldet der Rettungsdienst den Schlaganfall als minor stroke an. Mit Punktzahlen von 4–9 und einer LVOS-Wahrscheinlichkeit von 60–80 % werden die Patienten als LVOS angekündigt. Das führt in der Klinik zur Alarmierung des Stroke Teams und nach der Ankunft zum raschen Transport in die Neuroradiologie.
* Field Assessment Stroke Triage for Emergency Destination
Das Mutterschiff ansteuern – oder doch „Drip and Ship“?
In einer spanischen Studie mit 1401 Patienten zeigte sich zwischen den beiden Strategien in puncto Behinderung kein Unterschied nach 90 Tagen. In der Post-hoc-Analyse einer dänischen Studie mit 171 Patienten ermittelte man dagegen einen leichten Vorteil für die Mothership-Strategie. Die Studie war aber unterpowert, die Ergebnisse sollten daher laut Dr. Maier mit Vorsicht interpretiert werden.
Über die Vorteile Mobiler Stroke Units (MSU) berichtete Dr. Joachim Weber von der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Auswertungen zufolge ist der Einsatz einer MSU im Vergleich zum Rettungsdienst mit einer verkürzten Zeitspanne zwischen Symptombeginn und Thrombolyse sowie einem besseren funktionellen Outcome nach 90 Tagen assoziiert. MSU-Patienten werden häufiger in geeignete Kliniken gebracht und der Anteil an Thrombolysen in der golden hour von 60 Minuten liegt mit einer MSU 6-mal höher als mit konventioneller Versorgung.
Ein höherer Anteil von Patienten, die eine Thrombektomie erhalten, ließ sich beim Einsatz der mobilen Einheit allerdings nicht feststellen. Auch verkürzt sich die Zeit zwischen Symptombeginn und Punktion offenbar nicht. Ökonomisch betrachtet seien MSU zudem nur in Regionen mit hoher Bevölkerungsdichte kosteneffektiv, betonte der Kollege.
Quelle: Kongressbericht Arbeitstagung NeuroIntensivMedizin 2024