Medizin im Alter Mehr als nur kleine Differenzen

DGIM 2024 Autor: Friederike Klein

Die Daten der Ulmer Wissenschaftler bestätigen, dass Frauen im Alter tatsächlich mehr Defizite ansammeln als Männer. Die Daten der Ulmer Wissenschaftler bestätigen, dass Frauen im Alter tatsächlich mehr Defizite ansammeln als Männer. © anatoliycherkas - stock.adobe.com

Die Diversität zwischen Mann und Frau ist bei den verschiedensten Krankheitsbildern von Bedeutung, etwa bei Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs. Da liegt es auf der Hand, dass auch das Altern bei den beiden Geschlechtern unterschiedlich abläuft. 

Im Grunde genommen ist es paradox, dass Frauen statistisch gesehen länger leben als Männer. Denn erfahrungsgemäß weisen sie im höheren Lebensalter mehr körperliche Beeinträchtigungen hinsichtlich Komorbiditäten sowie körperlicher und kognitiver Funktionalität auf als ihre männlichen Altergenossen, meinte PD Dr. Dhayana Dallmeier von der Forschungsabteilung der AGAPLESION Bethesda Klinik in Ulm. Mit einem interdisziplinären Team untersucht sie anhand der ActiFE-Kohorte die geschlechtstypischen Besonderheiten verschiedener Biomarker bis ins hohe Alter.

An der Basisuntersuchung für ActiFE hatten in den Jahren 2009 und 2010 mehr als 1.500 Personen im Alter ab 65 Jahren teilgenommen. In 2012 und 2013 konnten gut 830 Teilnehmer erneut untersucht werden, vier Jahre später waren noch mehr als 520 dabei. „Von dieser repräsentativen Kohorte lernen wir jeden Tag etwas Neues“, meinte Dr. Dallmeier. 

Die Daten der Ulmer Wissenschaftler bestätigen, dass Frauen im Alter tatsächlich mehr Defizite ansammeln als Männer. Als Maß für die Beeinträchtigung diente ihnen der sogenannte Frailty-Index, ein Quotient, der auf 32 Indikatoren für die körperliche, kognitive und soziale Leistungsfähigkeit eines Menschen beruht. Die Messgröße kann zwischen 0 und 1 liegen, wobei man ab 0,2 von Frailty spricht, erläuterte die Referentin. Einen Index von 0,2 und mehr wiesen 23,5 % der Frauen aus der ActiFE-Gruppe auf, aber nur 17,8 % der Männer.

In der Kohorte stieg der Wert mit zunehmendem Alter an, wobei Frauen einen höheren Index aufwiesen als gleichaltrige Männer. Bei beiden Geschlechtern war ein Ergebnis ≥ 0,2 mit einer erhöhten Sechs-Jahres-Mortalität assoziiert, wobei das Sterberisiko für Männer höher lag.

Anhand der ActiFE-Kohorte wurde zudem eine ganze Reihe von biologischen Merkmalen untersucht. Wie sich zeigte, waren die Marker hochsensitives kardiales Troponin T (hs-cTnT) und hochsensitives kardiales Troponin I (hs-cTnl) unabhängig voneinander mit der Gesamtmortalität assoziiert. Männer hatten signifikant häufiger hohe Werte als Frauen, und Frauen häufiger nicht messbare Werte als Männer. Die Effektstärke erhöhter Troponinwerte in Bezug auf das Todesrisiko war bei Frauen höher als bei Männern. 

Geschlechtsspezifische Aspekte des Biomarkers NT-proBNP* fanden sich nicht. Um die Referenzwerte in einer alternden Kohorte zu überprüfen, wurden neben den Daten aus ActiFE auch solche aus der SHIP-Studie herangezogen. Insgesamt stellten 441 Personen ohne Krankheiten wie Diabetes, kardiovaskuläre oder Lungenerkrankungen, mit normwertigem Blutdruck, unauffälligen Laborparametern und einem BMI zwischen 18 und 33 kg/m² die Vergleichsgruppe. Der NT-proBNP-Normwert von 125 ng/l wurde bei 37,4 % überschritten, wobei Männer seltener Werte > 125 ng/l hatten als Frauen (27,1 % vs. 44,6 %). Auch das weist auf die Notwendigkeit einer geschlechtsspezifischen Betrachtung hin, betonte Dr. Dallmeier. Mit dem Alter stieg der mittlere NT-proBNP-Wert an und blieb bei Frauen höher als bei Männern.

Eisenmangel ist generell mit einer schlechten Funktionalität assoziiert. Im Rahmen der ActiFE-Studie wurden Handkraft, Hämoglobin- und Ferritinspiegel zueinander in Relation gesetzt. Es zeigte sich, dass mehr ältere Männer eine Anämie hatten als Frauen (8,7 % vs. 4,1 %). Die insgesamt relativ niedrige Prävalenz spiegelt wahrscheinlich einen Healthy-User-Effekt wider, meinte Dr. Dallmeier und verwies darauf, dass sich sämtliche Teilnehmer freiwillig gemeldet hatten. Bei den Männern wiesen 6,6 % ein Serumferritin < 45 /l auf, bei den Frauen waren es 12,9 %. Nicht alle Senioren mit Anämie hatten auch einen Eisenmangel, und der Anteil derer, denen es ohne Anämie an dem Spurenelement fehlte, war bei den Frauen größer. Bei Teilnehmerinnen unter 80 Jahren zeigte sich eine signifikante Assoziation von Hämoglobin und Handkraft, bei den Männern war das nur bei hohen Ferritinspiegeln ≥ 300 µg/l der Fall.

Aktuell prüft die Gruppe um Dr. Dallmeier die Assoziation von Biomarkern und Frailty-Index. Ziel ist es, konkretere Angaben zum biologischen Alter machen zu können. Erste Ergebnisse weisen auch in diesem Zusammenhang auf Unterschiede zwischen den Geschlechtern hin. So sind bei Männern erhöhte Werte für Harnsäure und HDL-Cholesterin nicht mit dem chronologischen Alter assoziiert, bei Frauen hingegen schon. Für den Testosteronspiegel gilt das Umgekehrte: Er ist für Aussagen zum chronologischen Alter bei Männern von Bedeutung, nicht aber bei Frauen. Das CRP ist ebenfalls nur bei den Männern mit dem Alter assoziiert, berichtete Dr. Dallmeier.

* N-terminales pro-Brain natriuretisches Peptid

Quelle: Kongressbericht DGIM 2024