Moderne Krebstherapien Mit Pneumonitiden ist zu rechnen

Autor: Manuela Arand

Der Verdacht auf eine pulmonale Nebenwirkung leitet sich aus dem zeitlichen Zusammenhang zwischen Exposition und klinischer Symptomatik ab. Der Verdacht auf eine pulmonale Nebenwirkung leitet sich aus dem zeitlichen Zusammenhang zwischen Exposition und klinischer Symptomatik ab. © magicmine ‒ stock.adobe.com

Die modernen onkologischen Behandlungsverfahren gehen an der Lunge nicht spurlos vorbei. Unter Checkpoint-Inhibitoren und zielgerichteten Therapien entwickeln manche Patienten z.T. lebensbedrohliche Pneumonitiden. Auch nach Radiatio drohen derartige Komplikationen. 

Checkpoint-Inhibitoren (CPI), die sich gegen das Transmembranprotein PD-1, dessen Liganden oder das Oberflächenprotein CTLA-4 richten, kommen bei immer mehr soliden Tumoren zur Anwendung. Teils werden sie kombiniert, teils im Zusammenspiel mit Radio- oder Chemotherapie eingesetzt. So sind fast alle im Thorax lokalisierten Malignome ein Fall für CPI. Die Wirkstoffe werden insgesamt besser vertragen als andere Tumortherapien, können aber immunbezogene Nebenwirkungen auch in der Lunge auslösen. Man muss mit einer Zunahme CPI-induzierter Pneumonitiden rechnen, erklärte Prof. Dr. ­Jacques ­Cadranel, Université Sorbonne Paris. Pneumologen sollten sich daher mit deren Diagnostik und Management auskennen, zumal diese Komplikationen letal enden können – die Case Fatality Rate liegt bei 15 % –und viele Patienten Residuen zurückbehalten. 

Lungenkrebspatienten im Vergleich stärker gefährdet

Zu den Risikofaktoren zählen hohes Lebensalter, Rauchen, pulmonale Grundkrankheiten (COPD: Risiko verdreifacht; klinisch manifeste ILD: Risiko versechzehnfacht) sowie Auto­immunerkrankungen, erläuterte Prof. Cadranel. Außerdem scheint es eine Rolle zu spielen, von welchem Organ die Krebserkrankung ihren Ausgang genommen hat. Lungenkrebspatienten sind weit stärker gefährdet als z.B. Patienten mit Melanom oder Kolonkarzinom.

Ein Drittel der durch CPI verursachten Pneumonitiden bleibt asymptomatisch, die übrigen gehen mit unspezifischen Symptomen wie Husten, Dyspnoe oder Fieber einher. Rund ein Drittel der Betroffenen entwickelt eine ausgeprägte Hyp­oxie. Wichtig zu wissen: Zwei von drei Patienten haben immunvermittelte Nebenwirkungen an anderen Organen, wobei nahezu jedes Organsystem betroffen sein kann. 

Das radiologische Bild der Pneumonitis ist heterogen mit Milchglas und Konsolidierungen als Hauptmerkmalen, weist aber seltener auch retikuläre Zeichnung, Bronchiolektasen und Mikronoduli auf, typischerweise bilateral und ohne segmentale Beschränkung. Probleme kann die Abgrenzung gegen Pneumonien bereiten, die bei Lungenkrebspatienten gehäuft vorkommen. Wichtigste differenzialdiagnostische Maßnahme ist die BAL. Bei CPI-Pneumonitis ergibt sie häufig eine ausgeprägte Lymphozytose infolge der gesteigerten T-Zell­aktivierung. 

Standardtherapie der CPI-induzierten Pneumonitis sind systemische Steroide und Sauerstoffgabe, sofern die Sättigung unter 92 % fällt. Bei schwerem Verlauf können Immunsuppressiva dazugegeben werden, z.B. Infliximab oder Mycophenolat-Mofetil. Die Empfehlungen, wie zu verfahren ist, variieren von Fachgesellschaft zu Fachgesellschaft. Die ASCO rät bereits bei Schweregrad 1 zur Therapiepause, die ESMO dazu, ein Verzögern der nächsten CPI-Applikation zu erwägen. Beide Fachgesellschaften raten bei Grad 3/4 zum Therapiestopp. Im Fall einer Pneumonitis Grad 2 befürwortet die ASCO die Reexposition, die sie bei Grad 3/4 kategorisch ablehnt. Die ESMO äußert sich dazu gar nicht.

Unter zielgerichteten Therapien gegen Treibermutationen sind pulmonale Komplikationen selten, aber potenziell lebensbedrohlich und müssen deshalb rasch erkannt werden, betonte Prof. Dr. ­Maria de ­Oliveira ­Fernandes von der Universität Porto. Die Risikofaktoren sehen ähnlich aus wie die für CPI-Komplikationen, dazu kommen männliches Geschlecht, japanische Abstammung und begleitende kardiale Erkrankungen. 

Auch in diesen Fällen handelt es sich meist um Pneumonitiden oder interstitielle Lungenschäden. Kürzlich beschrieben wurde das TAPO-Phänomen unter EGFR-Tyrosin­kinaseinhibitoren. Dabei handelt es sich um transiente asymptomatische pulmonale Milchglasveränderungen, die bei jedem fünften NSCLC-Patienten unter Osimertinib auftreten und spontan binnen sechs Wochen verschwinden, ohne dass der TKI abgesetzt werden muss.

Der Verdacht auf eine pulmonale Nebenwirkung leitet sich aus dem zeitlichen Zusammenhang zwischen Exposition und klinischer Symptomatik ab, wobei differenzial­diagnostisch auch Herzprobleme zu berücksichtigen sind. HR-CT, Labor (Serologie/Mikrobiologie, Coronatest und NTpro-BNP), Lungenfunktion inklusive Diffusionskapazität, BAL und evtl. Lungenbiopsie gehören zum diagnostischen Standardprogramm. Noch gibt es keine Leitlinie, wie die genannten Komplikationen unter molekular zielgerichteten Therapien zu managen sind. Man muss sich daher auf supportive Maßnahmen und systemische Steroide beschränken, bemängelte Prof. de Oliveira Fernandes. Das Prozedere sollte auf jeden Fall interdisziplinär zwischen Onkologen und ILD-Spezialisten abgestimmt werden. 

Spätschäden der Radiatio manifestieren sich als Fibrose

Strahlenschäden an der Lunge kommen dank besserer Bestrahlungstechnik wesentlich seltener vor als früher. Völlig ausschließen lassen sie sich nicht. Pneumonitiden treten als Frühform infolge der strahleninduzierten Inflammation innerhalb von ein bis sechs Monaten auf, Spätschäden manifestieren sich als Fibrose, erklärte Dr. ­Katherina ­Sreter, Universität Zagreb. Die Mechanismen dahinter sind recht gut verstanden – DNA-Schäden, reaktive Sauerstoffspezies und Kapillarläsionen werden zusammen mit aktivierten Immunzellen und Zyto­kinen zu einem fatalen Gemisch.

Offene Fragen gibt es trotzdem: Wenn die Schäden dosisabhängig sind – warum bekommt ein Patient eine Strahlenpneumonitis, der andere bei gleicher Strahlendosis nicht? Warum bilden sich die Symptome bei den meisten Patienten komplett zurück, während einige zur Fibrose fortschreiten?

Wie bei den arzneiinduzierten Pneumonitiden zeigen die meisten Patienten keine Symptome und wenn doch, sind sie unspezifisch: trockener Husten, Dyspnoe, leichtes Fieber und Unwohlsein, pleuritische Schmerzen. Biomarker oder Labortests helfen nicht weiter, und die Bildgebung zeigt ein buntes Bild, das sich im Verlauf ändern kann. Anfangs dominieren oft Milchglas und retikuläre Zeichnung, später narbige Konsolidierung und Traktionsbronchiektasen. Die Veränderungen entwickeln sich langsam, sind auf bestrahlte Strukturen beschränkt und zeigen keinen Bezug zu anatomischen Grenzen, betonte Dr. Sreter. Die Intervention orientiert sich am Schweregrad. Die Pneumonitis Grad 1 benötigt lediglich Überwachung, Grad 2 und 3 die Gabe von Steroiden und eventuell Sauerstoff. Bei Grad 4 kann die notfallmäßige Tracheotomie oder Intubation notwendig werden. 

Dr. Sreter wies auf die Vielzahl möglicher Differenzialdiagnosen hin, zu denen aktuell auch das durch E-Zigaretten induzierte EVALI und die COVID-19-Pneumonie gehören. Lokalisation und Geschwindigkeit der radiologischen Veränderungen können bei der Abgrenzung helfen, doch letztlich ist die Strahlenpneumonitis eine Ausschlussdiagnose, so die Onkologin.

Kongressbericht: ERS (European Respiratory Society)  International Congress 2022