Vorbereitung für den Ernstfall Nach dem Nuklearschlag Triage per App
Nuklearkatastrophen drohen nicht nur durch Aggressionen von Staaten, zum Beispiel über Raketenangriffe oder Sabotage eines Kernkraftwerkes. In Betracht kommen auch terroristische Attentate mit improvisierten Bomben, deren Sprengkraft laut Expertenmeinung die Stärke der Bomben in Hiroshima oder Nagasaki erreichen können. Auch wenn ein solcher Atomschlag unwahrscheinlich sein mag – ganz von der Hand zu weisen ist das Szenario nicht. Potenziell muss in einem solchen Ernstfall eine enorm hohe Zahl von Patienten versorgt werden. Die Art der Verletzungen hängt dabei vor allem von der Entfernung zur Detonation ab, aber auch die Höhe der Explosion, die Art der Waffe, Schutzräume und weitere Faktoren spielen eine Rolle. Oberstabsapotheker Cornelius Hermann vom Institut für Radiobiologie der Bundeswehr, München, und Kollegen gehen der Frage nach, wie es um die medizinische Vorbereitung auf eine solche Katastrophe in Deutschland steht.
Wichtig ist das Wissen um die Schäden, die bei einer nuklearen Detonation drohen. Düster sind die Aussichten für Personen in der unmittelbaren Umgebung einer Explosion. Dort entsteht ein Feuerball, der mit 100%iger Sicherheit zum Tod führt. Brandwunden und mechanische Verletzungen sieht man häufig bei Überlebenden, die etwas weiter von der Detonation entfernt sind.
Strahlung verbreitet sich über die Fallout-Wolke
Eine kraftvolle Druckwelle und herumfliegende Teile können schwere Verletzungen hervorrufen. Außerdem haben die Betroffenen natürlich mit Strahlenschäden zu kämpfen, im Umkreis von wenigen Kilometern ist die Dosis bei unbehandelten Exponierten letal. Neben der stark erhöhten Strahlung in der Umgebung des Katastrophenortes verbreitet sie sich auch über eine sogenannte nukleare oder Fallout-Wolke. Diese mit Radionukliden beladene Luftmasse kann die Radioaktivität mit dem Wind breitflächig verteilen. Bei Detonationen in der Luft in einer Höhe von über 450 Metern expandiert der Fallout den Autoren zufolge nicht in bedeutendem Ausmaß. Detoniert ein Sprengkörper dagegen am Boden, breitet sich die berechnete Strahlung auf über 100 Kilometer weit aus. Strahlung kann zudem auch über kontaminierte Lebensmittel oder Wasser in den menschlichen Organismus gelangen.
Eine akute Ganzkörperbestrahlung mit einer Dosis von 4 Gray (zum Vergleich: die Belastung einer CT liegt im Bereich von einigen mGy) führt unbehandelt bei 50 % der Betroffenen innerhalb von 60 Tagen zum Tod. Komplikationen, die man sonst aus der Hämato-Onkologie kennt, können plötzlich für Massen von Patienten relevant sein. Versagt das Knochenmark nach der Bestrahlung, sind mögliche Folgen vor allem Infektionen und Anämien durch Störungen der Blutbildung.
Verbessern lässt sich die Prognose durch eine adäquate Behandlung. Sie umfasst intensivmedizinische Maßnahmen inklusive überbrückender Transfusionen und einer Infektionsprophylaxe. Eine Radionuklid-Dekorporation soll den Körper von der Kontamination befreien. Gezielt und früh im Krankheitsverlauf können bestimmte Zytokine eine wichtige Rolle in der Behandlung einnehmen. In Einzelfällen sind die mesenchymale Stammzelltherapie und als Ultima Ratio die Knochenmarktransplantation eine Option.
Wie erkennt und behandelt man in der Masse von Patienten nun zielgenau die, welche eine Therapie benötigen? Triage-Tools können besonderen Behandlungsbedarf aufdecken. Ein solches IT-Tool ist das H-Modul, das mithilfe der größten Datenbank zu Strahlenunfällen entwickelt wurde und als App für Smart- und iPhones zur Verfügung steht. Das Modul muss lediglich mit den Daten eines einzigen Blutbildes (Lymphozyten-, Granulozyten-, Thrombozytenwert) gefüttert werden, um mit einem Vorhersagewert von 75–96 % eine Prognose über die Schwere des Strahlenschadens abgeben zu können. Das Ergebnis hilft bei der Entscheidung, ob Patienten stationär aufgenommen oder ambulant behandelt werden können. Bei dieser Triage sollte man laut Autoren zusätzlich auf typische, allerdings wenig spezifische Symptome der Strahlenschädigung, wie Übelkeit, Erbrechen, Temperaturanstieg, Diarrhö und Erythem achten. Auch DNA-Analysen können helfen, die Schwere einer Strahlenkrankheit vorherzusagen.
Empfehlungen der WHO zum Vorrat
Die Bundeswehr ist in puncto medizinischer Vorbereitung auf eine Nuklearkatastrophe besser aufgestellt als zivile Institutionen, schreiben die Autoren. Insgesamt gibt es ihnen zufolge aber noch viel Luft nach oben – u.a. beim sogenannten Stockpiling, welches das Vorhalten relevanter Medikamente beinhaltet. Die WHO hat hierzu kürzlich Empfehlungen abgegeben. Sinnvoll sind z.B. Medikamente zur Dekorporation von Radionukliden aus dem Körper, auch Zytokine gehören ins Repertoire. Für eine bessere Vorbereitung auf einen Kernwaffeneinsatz müssen zudem Strahlennotfallmediziner ausgebildet und ausgewählte Kliniken für die Versorgung von Strahlenunfällen geschult werden – auch mit Notfallübungen für den Ernstfall.
Quelle: Hermann C et al. Wehrmedizinische Monatsschrift 2023; 67: 65-71; DOI: 10.48701/opus4-103