Allergieforschung Nahrung als Therapie
Bei der Allergieforschung wird zu sehr darauf fokussiert, wie sich spezielle Trigger meiden oder ausschalten lassen. Zu wenig untersucht ist hingegen, welchen Einfluss eine bestimmte Kostform auf die ausufernde Immunreaktion hat, meinen Dr. Berber Vlieg-Boerstra vom OLVG Krankenhaus in Amsterdam und Kollegen. Denn man könne die Ernährungsweise sehr gut als adjuvante Behandlung bei Allergie einsetzen.
Beim Essen kommt es nicht nur darauf an, welche Mikro- und Makronährstoffe ein Mensch in Summe zu sich nimmt. Von großer Bedeutung ist auch die Vielfalt der verzehrten Lebensmittel und die Art und Weise der Zubereitung, schreibt das Autorenteam in einem Reviewartikel. Die Einnahme spezieller Nährstoffe bringe beim ansonsten Gesunden nur dann etwas, wenn tatsächlich ein Mangel besteht. Ansonsten sei eine Supplementation unsinnig, mitunter auch schädlich.
Bestimmte Nährstoffe können das Immunsystem nachweislich beeinflussen, erläutern die Experten. So sind mehrfach ungesättigte Omega-3-Fettsäuren eher entzündungshemmend, die mehrfach ungesättigten Omega-6-Fettsäuren hingegen entzündungsfördernd. In der Nahrung, die die Menschen in ihrer frühen Entwicklungsgeschichte zu sich nahmen, fanden sich beide Fettsäuretypen in einem ausgewogenen Verhältnis. Heute übersteigen die Omega-6-Fettsäuren den Anteil der Omega-3-Fettsäuren um das 16-Fache. Als Grund nennen die Autoren u.a. den hohen Verbrauch von Pflanzenölen. Auch die Tatsache, dass heutzutage das Milch- und Schlachtvieh eher mit Getreide als mit Gras und Heu gefüttert wird, trägt dazu bei.
Zunehmend wird deutlich, dass die einzelnen Nahrungsbestandteile in unserem Verdauungssystem miteinander interagieren. So führt beispielsweise Vitamin C zu einer besseren Eisenabsorption. Dem Food-Synergy-Konzept zufolge sollte die Nahrung möglichst abwechslungsreich zusammengestellt sein.
Die Menschen in den westlichen Industrienationen essen zuviel raffinierten Zucker, dazu gesättigte Fette und Salz im Übermaß – gleichzeitig zu wenig Nährstoffe, die für ein gut funktionierendes Immunsystem erforderlich sind. Da man mit derart kalorienreichen Lebensmitteln pro Energieeinheit vergleichsweise wenig Vitamin A, C, D, Eisen, Zink, Selen, Magnesium, Kupfer und Omega-3-Fettsäuren aufnimmt, spricht man in diesem Zusammenhang von leeren Kalorien. Eine besondere Gefahr stellen advanced glycation end-products (AGE) dar, die sich in hochverarbeiteten Lebensmitteln finden. Fast Food, frittierte Speisen, Süßes und Fertigessen aus der Mikrowelle sind reich an AGE. Sie können die Entstehung einer atopischen Dermatitis und mancher anderer Erkrankungen fördern.
Verarbeitetes Fleisch, Süßes und Weißmehl reduzieren
Die Kost sollte weitestgehend pflanzenbasiert sein und im Wesentlichen aus Vollkornerzeugnissen sowie Gemüse und Obst bestehen, ergänzt um Fisch und Nüsse. Hochprozessierte Lebensmittel, unter anderem also verarbeitetes Fleisch und Weißmehl, Süßwaren und gezuckerte Getränke sollte man meiden.
Edle Säure
Bei der Herstellung verschiedener Lebensmittel macht man sich Fermentationsprozesse mit Milchsäurebakterien oder anderen Mikroorganismen zunutze. Beispiele sind Sauerteigbrot oder Sauerkraut, aber auch Kefir, Kimchi (s. Abb.) oder Miso. Derart vergorene Nahrungsmittel erhöhen die Bakterienvielfalt im Darm, schreiben Dr. Vlieg-Boerstra und Kollegen. Zudem gibt es Hinweise, dass die fermentierte Kost die Entzündungsaktivität im Körper senkt.
Der Dietary Inflammatory Index beschreibt das Entzündungspotenzial einer bestimmten Kostform, indem er den einzelnen Lebensmitteln einen Punktwert zuordnet. Früchte und Gemüse, v.a. Knoblauch, Oregano und Thymian sowie Grün- und Schwarztee, schneiden neben den bereits erwähnten Omega-3-Fettsäuren besonders gut ab. Entzündungsfördernd sind gesättigte Fettsäuren und Fettsäuren in trans-Konfiguration, ebenso das Cholesterin von Säugetieren. Eine aktuelle Beobachtungsstudie zeigte höhere Asthmaraten bei Kindern, wenn die Ernährung der Mütter im Dietary Inflammatory Index einen höheren Punktwert aufwies.
Hochprozessierte Produkte wirken sich negativ aus
In erster Linie fußen die Erkenntnisse zu den antiinflammatorischen Effekten der unterschiedlichen Kostformen auf Beobachtungsstudien, merken die Autoren an. Interventionsstudien, die einen kausalen Zusammenhang belegen würden, gibt es kaum. Unterm Strich legen die Daten aber Folgendes nahe: Für Asthma, atopische Dermatitis, allergische Rhinitis und Lebensmittelallergien dürfte eine antiallergische Ernährungsweise das Auftreten der Erkrankungen reduzieren bzw. Symptome abmildern. Immer wieder werden zudem die negativen Effekte von hochprozessierten Esswaren auf die verschiedenen entzündlichen Krankheiten gezeigt.
Insbesondere bei älteren Menschen ist die gesunde, ausgewogene Ernährung wichtig, betonen die Autoren. Denn das Vermögen des Darms, Nährstoffe wie Vitamin D, Zink und Eisen aufzunehmen, geht mit dem Lebensalter zurück. Kritisch sei, dass immer mehr Menschen ohne medizischen Grund auf Milch und Weizenprodukte verzichteten. In der Folge könne es z.B. zu Jod- oder Vitamin-B2-Mangel kommen.
Quelle: Vlieg-Boerstra B et al. Allergy 2023; 78: 1441-1458; DOI: 10.1111/all.15687