Histaminintoleranz Ein Großteil der Patienten profitiert von vier Maßnahmen
Histamin ist ein biogenes Amin, das eine ganze Reihe von physiologischen Funktionen hat, z.B. im Gastrointestinaltrakt, als Immunregulator oder als Neurotransmitter im ZNS. Es ist nicht nur wichtig für die Allergologie, erinnerte Prof. Dr. Martin Raithel von der Klinik für Gastroenterologie am Malteser Waldkrankenhaus St. Marien in Erlangen. Histamin entsteht unter anderem in Mastzellen und im Rahmen der Magensäureproduktion. Reaktionen werden über vier verschiedene Rezeptoren (H1–4) vermittelt. Hohe Histaminspiegel, die beispielsweise im Rahmen von Entzündungen auftreten, baut der Körper mithilfe der Enzyme Diaminoxidase (DAO) und Histamin-N-Methyltransferase (HNMT) ab. Kommt zur endogenen Histaminproduktion aber eine exogene Zufuhr (z.B. durch orale Aufnahme oder bakterielle Fehlbesiedelung des Darms) hinzu, steigt die Gesamtbelastung des Körpers.
Beim gesunden Menschen wird diese durch eine Erhöhung der Abbaukapazität der beiden Enzyme und über die Aktivität der Histaminrezeptoren reguliert. Besteht jedoch ein DAO-Mangel, z.B. bei Zottenatrophie im Rahmen einer unbehandelten Zöliakie oder aufgrund von Barrierestörungen, Mikrobiomveränderungen, Toxinen, Infektionen, genetischer Prädisposition etc., kommt es zur Histaminintoleranz. Auch ein meist genetisch bedingter HNMT-Mangel kann die Intoleranz auslösen.
Von der nicht-immunologischen Unverträglichkeit abzugrenzen ist die Histaminvergiftung. Sie entsteht unweigerlich nach exogener Aufnahme von mehr als 250 mg Histamin, da dann die Abbaukapazität beider Enzyme signifikant überschritten ist.
Die physiologischen endogenen Plasmahistaminspiegel liegen in einem engen Bereich zwischen 0,18–0,48 ng Histamin pro Milliliter und Quadratmeter Körperoberfläche. Sie werden mitunter durch Ernährung, Alkoholkonsum, körperliche Aktivität oder Mikrobiota beeinflusst. Wird der individuelle Schwellenwert überschritten, kommt es zunächst zu gastrointestinalen Symptomen (erhöhte Magensäuresekretion, Dyspepsie, Schleimproduktion, Kontraktion der glatten Muskulatur). Bei weiterem Anstieg folgen u.a. Tachykardie, Kopfschmerz und Flush bis hin zu Hypotonie und Bronchospasmus. Liegt eine Grunderkrankung vor, die per se mit hohen endogenen Histaminspiegeln einhergeht (z.B. Mastozytose), genügt eine kleine Menge Rotwein, damit es zu ersten Beschwerden kommt, berichtete Prof. Raithel.
Anamnestisch können neben den klassischen Akutsymptomen weitere atypische Zeichen auf eine bestehende Histaminintoleranz hinweisen. Dazu zählen Anorexie, chronische Diarrhö, Reflux, Infektanfälligkeit, Schlaf- und Konzentrationsstörungen. Klinisch gilt es, eine Reihe von Differenzialdiagnosen auszuschließen (s. Kasten).
Differenzialdiagnosen der Histaminintoleranz
- Nahrungsmittelallergie, Urtikaria, neuroendokrin aktiver Tumor
- Reizmagen, Reizdarm, intestinale Mastozytose, GI-Allergie
- chronischer Kopfschmerz
- paroxysmales Vorhofflimmern,
- Phäochromozytom
- inhalative Allergien (z.B. auf Hausstaubmilben), Salizylatunverträglichkeit
- chronische Infekte, M. Addison
- psychische Erkrankung
Ein dringender Verdacht besteht, wenn beim Verzehr von histaminreicher Kost mindestens zwei typische Symptome auftreten und auf Antihistaminika ansprechen. Weitere Bestätigung liefern erhöhte Plasmahistaminspiegel sowie der laborchemische Nachweis einer reduzierten DAO- und/oder HNMT-Aktivität. Aufschluss kann zudem eine zweiwöchige histaminfreie Diät mit Laboruntersuchungen an Tag 1, 7 und 14 geben. Auch ein Pricktest mit Histamin ist möglich (verlängerte Persistenz der Histaminquaddel). Zur Bestätigung der Diagnose sollte stets eine standardisierte orale Provokation mit 75 mg Histamin in der Klinik erfolgen.
Die Therapieoptionen beim Histaminintoleranz-Syndrom haben alle ein schlechtes Evidenzniveau, da die Studienkollektive in der Regel sehr heterogen sind, erläuterte Prof. Raithel. An erster Stelle stehen Lebensstilinterventionen, darunter histaminreduzierte Kost, Alkoholkarenz und die Vermeidung von bestimmten Medikamenten. Nach Meinung des Referenten kann zudem die Substitution von DAO einen Versuch wert sein. Allerdings wird das oral aufgenommene Enzym in Magen und Pankreas zerstört, sodass der Effekt oft nicht groß ist. Eine dritte Option bietet die Gabe von H1- und H2-Antihistaminika. Ähnlich gut spreche der endogene Histaminspiegel zudem auf die hoch dosierte i.v.-Gabe von Vitamin C an – zudem weitgehend nebenwirkungsfrei.
Selbstdiagnostiker entlarven
Kommt ein Patient bereits aufgrund von Internetrecherchen etc. mit der vorgefassten Eigendiagnose Histaminintoleranz in die Sprechstunde, sollte man ein paar Dinge abklopfen, um einen anamnestischen Bias zu verhindern. Prof. Raithel empfiehlt, insbesondere nach der Verträglichkeit von Alkohol zu fragen, da viele Patienten mit DAO-Störung ihn nicht tolerieren. Rotwein ist in diesem Zusammenhang allerdings wenig aussagekräftig, da er eine Vielzahl von biogenen Aminen enthält. Aufschlussreich dürfte zudem die Frage nach typischen histaminhaltigen Lebensmitteln wie Sauerkraut und Thunfisch sein.
Bei zwei Drittel der Patienten erreicht man mit diesen vier Maßnahmen eine deutliche Symptomreduktion, so Prof. Raithel. Ergänzend empfiehlt er die Gabe von Heilerde, die das Histamin im Darm bindet. Zu diesem Thema läuft derzeit in Deutschland eine prospektive Studie. Weitere Optionen sind Probiotika oder Saccharomyces-Präparate. Befinden sich im Stuhl histaminbildende Bakterien, können Rifaximin oder Doxycyclin sinnvoll sein. Für die symptomatische Therapie stehen u.a. Mebeverin und Ivabradin zur Verfügung, bei Tachykardie ist Flüssigkeitszufuhr angezeigt.
Quelle: 130. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin 2024