Anarthrie Neuroprothese ermöglicht Kommunikation mit Patient

Autor: Dr. Judith Lorenz

Über 81 Wochen hinweg trainierten die Wissenschaftler einen Computeralgorithmus darauf, die Hirnaktivität des Patienten in Sprache umzuwandeln. Über 81 Wochen hinweg trainierten die Wissenschaftler einen Computeralgorithmus darauf, die Hirnaktivität des Patienten in Sprache umzuwandeln. © iStock/metamorworks

Eine Neuroprothese nebst selbstlernendem Algorithmus wandelt Hirnsignale in Wörter und ganze Sätze um. Dank des Implantats kann ein komplett gelähmter Mann nun wieder mit seiner Umwelt kommunizieren.

Einem Team von US-Forschern ist es gelungen, einem Mann, der nach einem Hirnstamminfarkt unter spastischer Tetraparese und Anarthrie litt, sein Sprechvermögen teilweise zurückzugeben. Neurochirurgen setzten dem kognitiv unbeeinträchtigten 36-Jährigen ein elektronisches Implantat ein, das Hirnsignale in geschriebene Wörter und Sätze umwandelt und so die Kommunikation mit der Umwelt ermöglicht.

Die mit 128 Elektroden bestückte Neuroprothese in der Größe einer Bankkarte wurde subdural auf der Oberfläche der für die Sprachverarbeitung wichtigen Hirnareale implantiert. Über 81 Wochen hinweg trainierten die Wissenschaftler einen Computeralgorithmus darauf, die Hirnaktivität des Patienten in Sprache umzuwandeln. Hierzu wurde der Mann gebeten, bestimmte Wörter auszusprechen. Durch mehrfaches Wiederholen „lernte“ das Programm, die beim Sprechversuch auftretenden kortikalen elektrischen Signalmuster dem Wort zuzuordnen und den Begriff auf einem Monitor darzustellen.

Nach 48 Trainingssitzungen hatten die Wissenschaftler 22 Stunden Hirnaktivität aufgezeichnet und das Programm war in der Lage, 50 verschiedene Ausdrücke zu erkennen. Auf diese Weise gelang es, Sätze mit bis zu acht Wörtern in Echtzeit und einer Geschwindigkeit von etwa 15 korrekt erkannten Wörtern pro Minute zu bilden, berichtet das Team um Dr. David Moses von der University of California in San Francisco. Die mittlere Fehlerrate lag bei 25,6 %.

Kaum etwas macht den Menschen mehr aus als seine Sprache, meinen die Neurologen Professor Dr. Leigh Hochberg und Professor Dr. Sydney Cash vom Massachusetts General Hospital in Boston. Dr. Moses und Kollegen hätten Pionierarbeit geleistet, loben sie: Erstmals sei es gelungen, den bloßen Sprechversuch in Text umzuwandeln. Das mache Hoffnung für viele Patienten mit amyotropher Lateralsklerose, Schlaganfall, Zerebralparese oder anderen Ursachen für eine Anarthrie. Allerdings sei die Technologie noch recht unpräzise, geben sie zu bedenken. Die Genauigkeit dürfte aber steigen, wenn Prothesen mit mehr und dichter angeordneten Elektroden implantiert werden.

Quellen:
1. Moses DA et al. N Engl J Med 2021; 385: 217-227; DOI: 10.1056/NEJMoa2027540
2. Hochberg LR, Cash SS. N Engl J Med 2021; 385: 278-279; DOI: 10.1056/NEJMe2106392