Nicht jedes Medikament lässt sich über eine Ernährungssonde geben

Autor: Dr. Elke Ruchalla

Wichtig für die Medikamentengabe ist auch, wo die Sonde hinführt: in den Magen, das  Duodenum oder Jejunum? Wichtig für die Medikamentengabe ist auch, wo die Sonde hinführt: in den Magen, das Duodenum oder Jejunum? © iStock/BlindTurtle, Lighthousebay

Wie verabreicht man Tabletten, wenn der Patient eine Ernährungssonde hat? Einfach zerstoßen und über den Schlauch geben? Das kann ganz schön nach hinten losgehen. Informieren Sie sich am besten schon vor der Verordnung bei einem Apotheker.

Ist bei einem Kranken eine Ernährungssonde gelegt worden, lassen sich orale Medikamente nach Zerkleinern einfach darüber verabreichen, sollte man meinen. Diese Ansicht führt aber oft in die riskante Irre, erklärt Apotheker Dr. Markus­ Messerli­ von der Pharmaceutical Care Research Group der Universität Basel. Unter anderem spielt die Frage nach der Interaktion von Sondennahrung und Arzneimitteln eine Rolle, aber bei Weitem nicht die einzige. Denken Sie beispielsweise an Arzneien mit verzögerter Wirkstofffreisetzung – die sind so konzipiert, dass nicht die gesamte Substanzmenge auf einmal in den Kreislauf gelangt. Wenn solche Tabletten im Mörser zerkleinert und dann in die Sonde gefüllt werden, kann von verzögerter Freisetzung keine Rede mehr sein. Bei Antihypertensiva kommt es beispielsweise so zu übermäßigen Blutdrucksenkungen bis hin zu einer gefährlichen Hypotonie.

Umgekehrt verlieren explizit als „sublingual“ gekennzeichnete Tabletten einen Teil ihrer Wirksamkeit, wenn die Mundschleimhaut sie nicht wie vorgesehen resorbiert, sondern sie per Sonde in Magen oder Dünndarm gelangen. Von dort geht es nämlich zunächst in die Leber, wo Enzyme sie verstoffwechseln und damit unwirksam machen („First-Pass-Effekt“). Das gilt etwa für Nitroglyzerin-Kapseln oder Buprenorphin sublingual.

Bei vielen Wirkstoffen mangelt es an Erfahrung

Die genannten Beispiele lassen sich noch logisch ableiten. Es gibt aber eine Vielzahl von Wirkstoffen, für die keine Erfahrungen zur Gabe über Sonden existieren. Meist fehlen in den Fachinformationen der jeweiligen Arzneimittel und in der Literatur Informationen diesbezüglich. So liegen für weniger als zwei Drittel der antiretroviralen Wirkstoffe zur Behandlung von HIV-Infektionen Sonden-Angaben vor. Und diese Patienten leiden häufig temporär an einer Ösophagitis, die das Tablettenschlucken unmöglich macht.

Was also tun, fragt sich nun der verwirrte Praktiker. An den Apotheker wenden, rät der Autor, wenn es geht, bevor die Medikamente überhaupt verordnen werden. In vielen Krankenhäusern hat es sich vor allem auf Intensivstationen schon eingebürgert, dass ein Apotheker an den Visiten teilnimmt, etwaige Fragen klärt und ggf. Tipps gibt. Niedergelassene haben es da schon schwerer. Trotzdem lohnt es sich für sie, mit einem Pharmazeuten eine langfristige Zusammenarbeit aufzubauen, um ihn bei Bedarf zu löchern. Das hilft beiden Berufsgruppen und vor allem den Patienten.

Und apropos Berufsgruppen: Auch die Pflegekräfte im Heim – und erst recht die Angehörigen zu Hause – freuen sich über einen detaillierten Plan, wie wann was über die Sonde verabreicht wird. Für Ärzte ist die genaue Dokumenta­tion außerdem fast ein Muss. Wenn es nicht anders in der Fachinfo steht, und das ist meist nicht der Fall, stellt die Gabe der Medikamente über die Sonde einen Off-Label-Gebrauch dar. Umso wichtiger ist der Nachweis, dass man alle notwendigen Vorsichtsmaßnahmen beachtet hat.

Steht die Entscheidung zur Gabe über die Sonde, müssen Sie berücksichtigen, wo deren Spitze liegt. So wirkt ein säureempfindliches Arzneimittel bei Magensonden nicht mehr.

Lutschen, kleben, anal einführen

Es gibt für orale Medikamente andere Verabreichungswege als über die Sonde: So ist eine Reihe von Präparaten auch als sublinguale Tablette, transdermales Pflaster oder Saft verfügbar – oder es existiert eine Wirkstoffalternative, für die das gilt. Auch Zäpfchen können hierbei ihren Stellenwert haben. Gelegentlich lässt sich sogar ein zur parenteralen Gabe gedachtes Präparat per Sonde verabreichen. Fixkombinationen vermindern außerdem die Anzahl der Tabletten, die in den Patienten gelangen müssen.

Nach der Arznei eine halbe Stunde keine Mahlzeit geben

Endet die Sonde stattdessen im Duo­denum oder Jejunum, darf man maximal 50 ml Flüssigkeit auf einmal geben. Das klingt zwar erst mal nach nicht so wenig. Man muss aber einberechnen, dass die zerkleinerte Tablette in einem ausreichenden Flüssigkeitsvolumen aufgelöst und die Sonde anschließend auch durchgespült werden muss. Weiterhin sollten zwischen Medikamentgabe und Mahlzeit – für die die Sonde ja in erster Linie gedacht ist – mindestens 30 min liegen, andernfalls kann es zu Durchfällen kommen. Insgesamt rät der Experte von der Medikation über Dünndarmsonden ab.

Supplemente sind in der Regel überflüssig

Diese Tüfteleien können Sie als Anlass nehmen, die gesamte Medikation zu überprüfen: Braucht Ihr Patient in seiner jetzigen Situation wirklich alles, was da auf dem Plan steht? Vitamine und Mineralstoffe beispielsweise sind in den Sondennahrungen ausreichend enthalten – Supplemente dementsprechend also überflüssig.

Quellen:
1. Messerli M. Swiss Med Forum 2019; 19: 637-641; DOI: doi.org/10.4414/smf.2019.08348
2. Messerli M. A.a.O: 669-675; DOI: doi.org/10.4414/smf.2019.08349