HIV Nicht nachweisbar heißt nicht übertragbar

DGIM 2022 Autor: Stefanie Menzel

Eine spät erkannte Infektion schmälert Therapieansprechen und Lebenserwartung erheblich. Eine spät erkannte Infektion schmälert Therapieansprechen und Lebenserwartung erheblich. © peterschreiber.media – stock.adobe.com; iStock/agny_illustration

Die HIV-Inzidenzen in Deutschland sinken seit Jahren. Geschätzte 9.500 Personen wissen dennoch nichts von ihrer Infektion. Ziel ist es, diese Menschen möglichst frühzeitig zu identifizieren, um fortgeschrittene Stadien sowie weitere Ansteckungen zu vermeiden.

In Deutschland lebten Ende 2020 etwa 91.400 Menschen mit HIV. Von ihnen waren 80 % ­männlich – meist Männer, die Sex mit Männern haben. Ungeschützter rezeptiver Analverkehr (inkl. Ejakulation) mit einem infektiösen HIV-positiven Partner stellt noch immer das größte Risiko dar (1,43 % pro sexuellem Ereignis). Für Frauen liegt es mit 0,05 % bei ungeschütztem rezeptivem Vaginalverkehr deutlich niedriger. Weniger relevant ist die Übertragung durch Needle Sharing oder von der Schwangeren auf das Kind.

Laut RKI-Bulletin erreichte Deutschland im Jahr 2020 erstmals die 90-90-90-Ziele der WHO: 90 % der HIV-positiven Menschen in Deutschland wissen von ihrer Diagnose, 97 % dieser Patienten erhalten eine antiretrovirale Therapie (ART), die wiederum bei 96 % wirksam ist. Dies sei zwar ein schöner Erfolg, räumte Dr. ­Mascha ­Mues, Infektiologin aus Köln, ein. Doch noch immer sind 34 % der rund 2.000 Patienten mit HIV-Erstdiagnose pro Jahr bereits in einem fortgeschrittenen Stadium, 17 % präsentieren sich mit dem Vollbild AIDS und jährlich sterben ca. 380 Patienten. In der Praxis geht es u.a. darum, infizierte Personen zu erkennen, bevor sie zu „Late Presentern“ werden, was Therapieansprechen und Lebenserwartung erheblich schmälert.

Eine HIV-Infektion verläuft typischerweise in drei Stadien, die anhand der CD4+-T-Lymphozytenzahl und der Viruslast im Serum unterschieden werden. Klinische Symptome in der anfänglichen akuten Phase können zwei bis sechs Wochen nach Infektion auftreten und sind klinisch von denen eines grippalen Infekts kaum zu unterscheiden. „Die wichtigste Aufgabe bei der Diagnose der akuten HIV-Infektion besteht letztlich darin, diese überhaupt als Differenzialdiagnose zu berücksichtigen.“ Bei Verdacht sollte sowohl ein HIV-Antigentest gemacht werden als auch die Bestimmung der Plasmaviruslast erfolgen. Denn anfangs sind kaum Antikörper zu finden, dafür aber sehr viele Viruskopien.

Auswahl häufiger Indikatorerkrankungen

HIV-Test ausdrücklich empfohlen

HIV-Test vorgeschlagen

sexuell übertragbare Erkrankungen

Lungenkarzinom

malignes Lymphom, Analkarzinom, zervikale Dysplasie

lymphozytäre Meningitis

Herpes Zoster, Hepatitis B oder C, mononukleoseähnliche Erkrankung

orale Haarleukoplakie

ungeklärte Leukozytopenie/Thrombozytopenie mit > 4 Wo. Dauer

schwere oder atypische Psoriasis

seborrhoische Dermatitis/Exanthem

Guillain-Barré-Syndrom, Mononeuritis, MS-ähnliche Erkrankungen, periphere Neuropathie

ungeklärtes Fieber

Gewichtsverlust, Lymphadenopathie, orale Candidiasis bzw. chronische Diarrhö unklarer Ursache

Candidämie

Hepatitis A

viszerale Leishmaniose

ambulant erworbene Pneumonie

nach hiveurope.eu

 

Hellhörig werden sollte man bei sogenannten Indikatorerkrankungen, die mindestens in 0,1 % der Fälle mit einer bislang unerkannten HIV-Erkrankung einhergehen. Zu einem Test rät Dr. Mues immer, wenn eine aggressive Immuntherapie erforderlich wird, z.B. bei Krebs, Transplantation oder Autoimmunerkrankung. Zudem empfiehlt sie eine Sexualanamnese und ggf. die Testung auf andere sexuell übertragbare Erkrankungen. Diese können durch Beeinträchtigung der Hautbarriere das Risiko einer HIV-Infektion bis auf das Achtfache erhöhen (v.a. Herpes, Syphilis und rektale bakterielle Infektionen).

Nach einem ersten positiven HIV-Testergebnis empfiehlt sie folgendes Vorgehen:

  • Bestätigungstest (nach 6 Wo.)
  • Bestimmung von Plasmaviruslast und Immunstatus
  • HIV-genotypische Resistenztes­tung
  • Frage nach eingenommener Präexpositionsprophylaxe
  • Klinische Untersuchung (opportunistische Infektionen, AIDS definierenden Erkrankungen)

Leitliniengemäß soll jede Person mit einer HIV-Infektion – unabhängig von Immunstatus und Viruslast im Plasma – dauerhaft eine ART erhalten. Ziel ist die vollständige HIV-Suppression, sodass eine Krankheitsprogression verhindert und das Immunsystem wiederhergestellt wird. Auf diese Weise gelingt es, infektionsbedingten Symptomen und Organschäden vorzubeugen, die Lebenserwartung und -qualität zu normalisieren sowie die Weitergabe des Virus zu verhindern (treatment as prevention).

Wichtig ist in diesem Zusammenhang: Menschen mit einer seit mindestens sechs Monaten nicht nachweisbaren Viruslast („unterhalb der Nachweisgrenze“) können bei fortgesetzter Therapie das Virus auch nicht mehr übertragen. Dies betreffe sowohl sexuelle Kontakte als auch die Situation von Schwangeren. Dieses Wissen helfe, Betroffene zu entstigmatisieren, betonte Dr. Mues.

Höhere Zahlen in der Ukraine

Die Prävalenz von HIV-Infektionen ist in Europa ungleich verteilt, in der Ukraine liegt sie z.B. deutlich höher als in Deutschland. „Wir müssen damit rechnen, dass wir in der Praxis Flüchtlinge sehen werden, die eine Fortführung der bestehenden HIV-Therapie oder eine andere Art von Betreuung benötigen“, so die Expertin.

Die Behandlung ist – mit wenigen Ausnahmen – so rasch wie möglich in die Wege zu leiten. Für die Initialtherapie sind verschiedene Kombinationen von Medikamenten empfohlen, eine besonders gute Adhärenz erreicht man mit Eintablettenregimen, die meist nur einmal am Tag eingenommen werden müssen. Die Basis bildet meist ein Integrase­inhibitor. Allerdings können unter einer ART zahlreiche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten auftreten. Da die Betreuung der Betroffenen eine Vielzahl von Untersuchungen vor und während der Therapie erfordert, sollte sie von HIV-Schwerpunktärzten durchgeführt werden.

Es ist davon auszugehen, dass die seit Ende 2017 verfügbare HIV-PrEP die Neuinfektionen weiter senken werde, prognostizierte Dr. Mues. Bei der PrEP handelt es sich um Medikamente, die HIV-negative Menschen bei richtiger Einnahme vor einer Ansteckung schützen. Die relative Risikoreduktion beträgt Studien zufolge 86 % bei einer Wirksamkeit von bis zu 99 %. Angeboten werden sollte die PrEP insbesondere Menschen mit stark erhöhtem HIV-Risiko; sie gehört mittlerweile zum Leistungskatalog der GKV.

Kongressbericht: 128. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM)