Niereninsuffizienz erkannt – und jetzt?

Autor: Dr. Sascha Bock

In manchen Fällen muss auch der Nephrologe mit einbezogen werden. In manchen Fällen muss auch der Nephrologe mit einbezogen werden. © iStock/Shidlovski

Wie viel Nierendiagnostik sollte in der Hausarzt­praxis laufen? Und wann schickt man Patienten mit einer neu entdeckten chronischen Funktionseinschränkung zum Facharzt? Die DEGAM gibt Antworten.

Um die Nierenfunktion abzuschätzen, empfiehlt die aktuelle DEGAM-S3-Leitlinie die CKD-EPI-Formel. Allerdings liefert diese Annährung bei Patienten über 70 Jahre unzuverlässige Ergebnisse, räumen die Autoren ein. Speziell für Ältere wurde deshalb die eGFR-Bestimmung nach BIS* evaluiert (s. Links am Textende). Die Diagnose einer chronischen Nierenerkrankung (chronic kidney disease, CKD) steht erst nach zweimaliger Messung. Liegt die Filtrationsrate erstmals unter 60 ml/min/1,73 m2, soll ein weiteres Labor nach drei Monaten erfolgen. Schließlich können diverse Faktoren das Resultat verfälschen:

  • Kreatininproduktion (z.B. sehr viel/wenig Muskelmasse, sehr hohes Alter, Ernährung, starkes Übergewicht, Lähmungen)
  • tubuläre Sekretion (verringert durch Medikamente wie Trimethoprim oder Fibrate)
  • extrarenale Elimination von Kreatinin (z.B. erhöhtes extrazelluläres Volumen in der Schwangerschaft, erhöhtes Serumkreatinin durch Antibiotika)
  • Fehler in der Kreatininmessung (spektrale oder chemische Störquelle wie Glukose, Ketone etc.)

Wichtig: Vermuten Sie ein akutes Nierenversagen, sollten Sie die eGFR nach spätestens zwei Wochen kontrollieren, wenn nicht ohnehin eine Über- beziehungsweise Einweisung erfolgt ist.

Für den Blutnachweis genügt ein Streifentest

Neben der glomerulären Filtra­tionsrate spielt die Proteinurie eine prognostische Rolle. Teststreifen bieten eine erste Orientierung (Albumin?), als Standard gilt aber die 24-Stunden-Urinsammlung. Sie erlaubt die Quantifizierung von Albumin- und Proteinmenge unabhängig von der Harnkonzentration. Da sich diese Methode in der hausärztlichen Praxis nicht bewährt hat, rät die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin dazu, die Albumin-Kreatinin-Ratio aus dem Spontanurin zu ermitteln.

Ein weiterer Befund, der bei der Erstdiagnose einer CKD abgeklärt werden muss, ist die Hämat­urie. Dabei genügt der Streifentest. Ein positives Ergebnis sollte man mit einem zweiten unabhängigen Streifentest überprüfen. Blut im Harn spricht womöglich für eine Glomerulo­nephritis oder gar eine maligne Erkrankung. Patienten mit sichtbarer oder persistierender unsichtbarer Hämaturie benötigen zudem eine Nierensonographie. An weiteren Indikationen für eine einmalige Ultraschalluntersuchung­ nennen die Experten:

  • GFR < 30 ml/min/1,73 m2
  • (Makro-)Proteinurie
  • relevante GFR-Verschlechterung (falls Vorbefund vorhanden)
  • Hinweis auf eine polyzystische Nierenerkrankung (Familienanamnese; isolierte Zysten haben in der Regel keine Bedeutung)
  • Hinweis auf obstruktive Uropathie (abgeschwächte/verzögerte Mik­tion, Restharngefühl, Nykt­urie)

Erhärtet die Bildgebung den Verdacht auf eine Obstruktion, kommt der Urologe ins Spiel. Auch der Nephrologe ist in bestimmten Fällen gefragt (s. Kasten). Die meisten Hausarztpatienten bewegen sich laut DEGAM allerdings in frühen CKD-Stadien und haben keine spezifische nephrologisch behandelbare Grund­erkrankung. Eine kontinuierliche Mitbetreuung hängt von der therapeutischen Konsequenz (Nierenersatzverfahren etc.), Art und Schwere der Funktionsstörung, Patientenpräferenz, Komorbiditäten und Lebenserwartung ab.

Jetzt kommt der Nephrologe ins Spiel

  • Indikation bei jüngeren Patienten, insbesondere unter 50 Jahren, mit eGFR < 60 ml/min/1,73 m2 oder Proteinurie großzügig stellen
  • Indikation bei über 70-Jährigen mit eGFR < 60 ml/min/1,73 m2 oder Proteinurie unter Berücksichtigung von Komorbiditäten, Lebenserwartung und individuellen Gesundheitszielen stellen
  • eGFR zwischen 30 ml/min/1,73 m2 und 60 ml/min/1,73 m2 UND persistierende nicht urologisch erklärbare Hämaturie 2+ oder Albuminurie Stadium ≥ A2 oder refraktäre Hypertonie trotz mindestens drei Antihypertensiva
  • eGFR < 30 ml/min/1,73 m2 (Ausnahme: individuelle Abwägung bei Hochbetagten sowie in palliativen Situationen)

Elektrolytveränderungen erst in Spätstadien zu erwarten

Zu jeder Erstdiagnose gehören außerdem eine Blutdruckkontrolle und die Erfassung des kardiovaskulären Risikos mittels validierter Scores. Dazu zählen den Autoren zufolge der PROCAM- und der ESC-Kalkulator sowie das deutschsprachige Beratungsinstrument arriba. Weitere Laboruntersuchungen richten sich nach den vorliegenden Befunden. Blutbild, Harnstoff, Glukose und Lipide hat man häufig bereits mitbestimmt. Elektrolytveränderungen treten i.d.R. erst in Spätstadien der CKD auf. Und eine laborchemische Verschlechterung der Knochenparameter entwickelt sich ab einer eGFR < 45 ml/min/1,73 m2.

Quelle: S3-Leitlinie Versorgung von Patienten mit chronischer nicht-dialysepflichtiger Nierenerkrankung in der Hausarztpraxis, AWMF-Register-Nr. 053-048, www.awmf.org

*Nützliche eGFR-Formeln finden Sie hier:
bit.ly/CKD-EPI-Formel
bit.ly/BIS-Formeln