Delirprävention Nur eine Maßnahme kann bislang überzeugen
Ein Delir entwickeln vor allem alte Menschen und solche mit Abhängigkeitserkrankungen. Mehr als ein Drittel der Klinikpatienten ist von der Bewusstseinsstörung betroffen, mehr als 50 % aller Pflegetage gehen auf ihr Konto. Ein Delir steigert die Mortalitätsrate bis auf das Sechsfache, erhöht Verweildauer, Kosten, Pflegeaufwand und das Risiko im Pflegeheim zu landen, berichtete Prof. Dr. Dr. Michael Rapp, Sozial- und Präventivmediziner an der Universität Potsdam. Somit stellt sich die Frage, welche Umstände ein Delir begünstigen und was sich präventiv tun lässt.
Für ein postoperatives Delir ist die Art der Narkose offenbar kein wesentlicher Risikofaktor. Dies legt das Ergebnis einer Studie mit 1.600 Patienten ab 50 Jahren nahe, die wegen einer Hüftfraktur in Spinalanästhesie oder in Vollnarkose operiert worden waren. Die Delirinzidenz nach der OP war in beiden Gruppen annähernd gleich (19,7 % versus 20,5 %). „Dies stellt das Konstrukt der zerebralen Schädigung durch die Narkose infrage“, sagte Prof. Rapp.
Von Bedeutung scheint vielmehr die Anästhesietiefe zu sein, wie eine multizentrische Studie mit 655 Hochrisikopatienten ergab. Von den Patienten mit leichter Anästhesie entwickelten 19 % in den ersten fünf Tagen nach dem Eingriff ein Delir, von denjenigen mit tiefer Anästhesie waren es 28 %. Prof. Rapp hält es zwar für wichtig, mit den Anästhesisten über die Narkosetiefe zu sprechen. Allerdings sei diese sicher nicht die einzige oder die entscheidende Größe für die neurokognitive Störung. Die körperliche Situation des Patienten einschließlich der Hirnalterung und die Reaktion des gesamten Organismus auf die OP dürften eine wichtigere Rolle spielen.
Dies legen indirekt auch die Ergebnisse einer Präventionsstudie nahe, an der Prof. Rapp beteiligt war. 1.470 Patienten im Alter ab 70 Jahren, die sich einer elektiven Operation (orthopädisch, allgemein- oder herzchirurgisch) unterziehen mussten, wurden im Rahmen eines multimodalen Delirpräventionsprogramms im Krankenhaus behandelt. Die Mitarbeiter – von der Pflegekraft bis zum Anästhesisten – waren speziell geschult, die Patienten erhielten individuelle sitzwachenähnliche Interventionen mit sieben Modulen. Diese umfassten individuell angepasst kognitive, motorische sowie sensorische Stimulation, Gesellschaft beim Essen, Begleitung zu Untersuchungsterminen, Stressbewältigung und Schlafunterstützung.
Bei orthopädisch und abdominalchirurgisch Operierten zeigte sich durch diese Maßnahmen ein knapp signifikanter Effekt auf die postoperative Delirrate (p = 0,047). Für Patienten mit Herz-OP ließ sich dagegen kein Nutzen nachweisen. Bei stärkeren zerebrovaskulären Belastungen während der OP sind die behavioralen Präventionsprogramme offenbar weniger effektiv, kommentierte Prof. Rapp.
Perioperativ selektiven Alpha-2-Agonisten geben
In einer Metaanalyse von 80 randomisierten kontrollierten Studien zur medikamentösen und nicht-medikamentösen Prävention bei Intensivpatienten konnten die nicht-pharmakologischen Interventionen ebenfalls nicht punkten. Von den pharmakologischen Optionen erwies sich allein die intravenöse Gabe des selektiven Alpha-2-Agonisten Dexmedetomidin als sinnvoll. Benzodiazepine, Opioide und Neuroleptika brachten hingegen keinen Vorteil.
Bei 63 Patienten ab 60 Jahren mit großer offener Bauch- oder koronarer Bypass-OP senkte die perioperative Behandlung mit Dexmedetomidin die Delirhäufigkeit innerhalb der ersten fünf Tage nach dem Eingriff von 43,8 % (unter Placebo) auf 17,9 % (Verum). Bis dato ist die Substanz der Intensivmedizin vorbehalten, doch es gibt erste Versuche mit der intranasalen Applikation. Prof. Rapp: „Es könnte wirklich sein, dass wir ein neues Medikament zur Delirprophylaxe kriegen.“
Kongressbericht: 12. Psychiatrie-Update-Seminar